Zwei Toechter und drei Hunde
ist nichts mehr zu sehen. Er ist zugeschaufelt und die Erde darüber geglättet, als hätte er nie bestanden! Statt seiner ist daneben ein neuer Abfluß gegraben, der wieder genau auf meine Achillesferse, die Garageneinfahrt, zielt. Vor diesem Werk steht, auf den Spaten gestützt und finsteren Blickes, der Wegmacher. Neben ihm sein Schubkarren mit kiesvermischter Erde.
Der Wegmacher, Beni heißt er, ist eine jener Gestalten, über deren bloße Existenz in unserer Zeit ich mich immer freue. Er gehört zu der Gattung der fast ausgestorbenen Rattenfänger, Topfflicker und Messerschärfer. Die Wege, die richtigen alten Landwege, die sich noch durch unser Dorf ziehen, sind seine Passion und sein Beruf in des Wortes alter Bedeutung als Berufung aufzufassen. Man muß ihn sehen, wie er sich einen solchen Weg vornimmt, wehen Blickes und kopfschüttelnd die Schlaglöcher betrachtend, die unsere Pneus wieder hineingerissen haben, und die Lehmschichten beseitigend, die ein Gewitterguß darübergeschwemmt hat. Es ist ihm gänzlich wurscht, was die Anwohner zu seiner Tätigkeit sagen, für ihn gilt nur der Weg, er kost, er formt ihn, Praxiteles kann mit keiner größeren Andacht an seinem Gips geknetet haben.
»Das gibt’s aber nicht!« sagt er dumpf grollend zu mir, und sein klares braunes Gesicht ist voller Empörung.
»Aber, Beni«, sage ich. »Schau, das Wasser läuft doch viel besser in die Wiese ab, die ja eh zu nichts nutze ist. Das Gras ist sauer, bauen kannst auch nicht drauf...«
»Nicht in die Wiese!« sagte er noch einmal. »Das weißt du ganz genau! Pfüat di Gott!« Und damit nimmt er seinen Karren auf und schiebt davon. Ich sehe ihm lange nach und habe die Vision, als werde er mit wachsender Entfernung nicht kleiner, sondern größer. Vielleicht kommt das daher, daß ich die Geschichte kenne, die hinter diesem seinem merkwürdigen Verhalten steckt.
Die Wiese gehört nämlich dem Wurzel-Sepp, und vor zehn Jahren hat der Wegmacher um die Hilde vom Wurzel-Sepp geworben. Die aber nahm einen anderen, so einen Feschen mit einem großen Hof. Wer heiratet auch einen Wegmacher, der nur ein kleines Gehalt von der Gemeinde bekommt? Der Wegmacher in seiner treuen und weisen Seele hat’s ihr nicht mal nachgetragen, er hat’s verstanden und noch mehr als das. In seiner abgrundtiefen, festen Liebe schützt er noch immer die Wiese der Erwählten, die inzwischen von dem anderen vier Kinder hat.
So hole ich mir denn — seiner arglosen Seele vertrauend —, sobald er um die Ecke ist, meinen Spaten und grabe meinen lieben alten netten kleinen Kanal wieder auf. Mir wird ordentlich warm dabei, zumal inzwischen die Sonne hinter einer großen, silberumrandeten Wolkenburg vorgekommen ist und zeigt, daß selbst eine Herbstsonne noch allerhand auf dem Kasten hat.
Als ich den Kanal fertig und Wegmachers Denkmal verschmähter Liebe wieder beseitigt habe, hole ich mir meinen Liegestuhl.
Auch Peterle und Weffi erscheinen auf der Schwelle der Terrasse, von der Sonne angelockt, kurz nach ihnen der Dicke, und nun liegen sie dicht aneinandergekuschelt in dem warmen Schein. Hinten, nach dem Salzburgischen zu, steht ein Regenbogen vor dem schwarzblauen Himmel, der so aussieht wie geschliffene Luft, und die Berge schauen drein, als seien sie zu einem großen Fest geschmückt.
»Du wirst dir bestimmt was an den Nieren holen«, sagt die Stimme des Schloßgeistes vom Balkon, während er ein Tuch ausschüttelt. »Das ist so das richtige Wetter dafür, vorn warm und hinten eiskalt! Übrigens, sieh doch mal, da vor Bentlers Haus steht so ‘n roter Wagen, der sieht aus wie der von deinem Professor Dingsbums!«
»Es gibt viele rote Wagen auf dieser Welt«, sage ich träumerisch und döse vor mich hin. Schritte kommen durch den Garten auf mich zu. Kann man denn nicht mal einen Augenblick seine Ruhe haben? Sie knirschen schwer und fest auf dem Kies. Jetzt bleiben sie vor mir stehen. Sonderbar, daß die Hunde gar nicht anschlagen. Ich entschließe mich, die Augen einen Spalt zu öffnen, und sehe ein Paar schwarze Männerschuhe und Hosenbeine darüber. Und dann sagt eine wohlbekannte Stimme: »Erwache, Nestor, würdiger Greis!«
Es ist tatsächlich Enrico. Anstandshalber mache ich den Versuch aufzustehen, aber er hält mich zurück: »Freu dich, daß du im Liegestuhl bist, auf diese Weise kannst du nicht Umfallen. Und ich werde mir auch einen holen, damit du mich nicht vors Schienbein treten kannst.«
Er tut es, und dann ist eine Weile Schweigen.
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