Zweyer, Jan - Rainer
sicher?«
»Mit dem Schnaps oder der Uhrzeit?«
»Der Uhrzeit.«
»Hören Sie, ich bin noch nicht senil! Ich weiß, wann ich mich gestern mit Georg getroffen habe. Außerdem habe ich direkt nach dem Abendessen, so gegen sieben, noch einige Flaschen alkoholfreies Bier an der Bude besorgt. Für meinen Freund.
Georg trank keinen Alkohol mehr seit seinem Herzinfarkt.
Dabei hat mich mein Nachbar Heinz begleitet. Heinz von Rabenstein. Auf dem Rückweg haben wir Georg getroffen und er ist mit uns ins Heim gegangen. Ich kann Heinz holen, wenn Sie…«
»Nein, das ist nicht nötig. Herr Kattlowsky, ist Ihnen an Georg Pawlitsch irgendetwas aufgefallen? War er vielleicht beunruhigt oder erregt?«
»Nein. Er war etwas stiller als sonst, das vielleicht. Etwas stiller. Aber nervös? Nein, sicher nicht. Stiller, ja. Obwohl…«
Der Rentner zögerte.
»Ja?«
»Ach, ihm war sein Notizbuch aus der Jackentasche gerutscht. Ich habe es aufgehoben und ihm gegeben. Dabei habe ich in dem Buch geblättert und er hat sich darüber aufgeregt. Das gehe mich nichts an, hat er gesagt. Ich solle meine Finger davonlassen. Richtig rumgemotzt hat er. Da war Georg ganz der Alte. Er hat ein fürchterliches Getue um das Buch gemacht. Wir haben ihn deswegen immer aufgezogen.
Und jetzt ist er tot.« Kattlowsky schüttelte erneut den Kopf.
Brischinsky wartete noch einen Moment, ob dem Rentner noch etwas Wesentliches einfallen würde. Dann sagte der Polizist: »Danke, Herr Kattlowsky, das war es schon.«
»Herr Kommissar?«
»Ja?«
»Frau Pawlitsch, ich meine… was denken Sie, kann ich sie besuchen?« Kattlowsky schien ehrlich betrübt und besorgt.
»Ich glaube, sie würde sich darüber freuen.«
Zurück im Präsidium führte Hauptkommissar Brischinsky ein kurzes Gespräch mit der Pressestelle, um die Veröffentlichungen der Lokalmedien in deren morgigen Erzeugnissen in seinem Sinne zu beeinflussen. Dann machte er sich auf den Weg nach Hause, um den ausgefallenen Schlaf der letzten Nacht nachzuholen.
6
Eschs erster Griff nach dem Aufstehen galt der Reval-Packung. Er steckte sich eine Kippe in den Mund und zündete sie an. Ohne seine Lungentorpedos war er geliefert. Rainer konnte auf das Frühstück verzichten, nicht aber auf seine morgendlichen Nikotinrationen. Im Grunde waren die Zigaretten sein Frühstück. Der Anwalt hustete sich fast die Seele aus dem Leib und schlurfte in die Küche, um Kaffee aufzusetzen. Dann begab er sich mit dem Sportteil der WAZ
unterm Arm und der Reval im Mundwinkel auf die Toilette, um die Artikel in Ruhe zu studieren.
Später am Frühstückstisch las Rainer den Rest der Zeitung.
Schwerpunkt der deutschlandpolitischen Berichterstattung waren die Auseinandersetzungen in der Regierungskoalition.
Der Wirtschaftsteil berichtete ausführlich über die Reaktionen an den Weltbörsenplätzen auf die neuesten Beschlüsse der russischen Führung. Esch blätterte weiter zum Recklinghäuser Lokalteil. Die einzelne Mittelseite fiel auf den Boden. Der Anwalt legte den Rest der WAZ aus der Hand und hob die Seite auf.
Sein Blick fiel auf eine zweispaltige Überschrift: LoBauTech in Schwierigkeiten?
Darunter war über den Bergbauzulieferer zu lesen: Der Hochlarmarker Betrieb
LoBauTech
mit rund
einhundertsechzig Beschäftigten scheint in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten zu sein. Wie der Betriebsratsvorsitzende des Unternehmens, Peter Steinke (42), im Anschluss an eine Belegschaftsversammlung mitteilte, hat sich die Auftragslage der Firma in den letzten Monaten drastisch verschlechtert. Die Deutsche Steinkohle AG habe ihre Bestellungen bei LoBauTech im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel reduziert, gab Steinke bekannt. Damit seien etwa die Hälfte der Arbeitsplätze akut gefährdet. Dies sei eine Folge der Kapazitätsanpassungen im deutschen Bergbau, die nun voll auf die Arbeitsplätze in den Zulieferindustrien durchschlage. Steinke verbittert: »Wenn jetzt keiner hilft, stehen unsere Kollegen auf der Straße. Aber wir werden das nicht so einfach hinnehmen.« Steinke wirft dem Firmeninhaber, Dr. Friedhelm Lorsow, vor, den Ernst der Situation nicht rechtzeitig erkannt zu haben. Friedhelm Lorsow (Bild) gegenüber unserer Zeitung zu den Vorwürfen der Betriebsräte: »Das ist völliger Unsinn. Aber ich kann die Ängste verstehen. Die Situation ist wirklich nicht einfach. Aber Panikmache bringt nur Unruhe in die Belegschaft. Das können wir gerade jetzt nicht gebrauchen. Wir stehen in Erfolg versprechenden
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