Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
daran oder schmiß ganz das Handtuch, um nach neun Semestern Jura sein weiteres Leben als Taxifahrer zu bestreiten.
Langsam ärgerte sie sich. Ihr Bruder ließ sie sitzen. Hunger hatte sie auch, da sie tagsüber nichts gegessen hatte.
Sie sah erneut auf die Uhr. Schon kurz vor acht. Das Mykonos war bis auf den letzten Platz gefüllt; die ersten Gäste, die kamen, ohne vorher reserviert zu haben, wurden bereits mit Bedauern weggeschickt.
Kurz entschlossen griff Stefanie Westhoff zur Speisekarte.
Mit einem Kopfnicken bestellte sie den Kellner zu sich.
»Ich hätte gerne die Lammfilets mit Bratkartoffeln. Und noch einen Demestica.«
5
Trotz massiven Einsatzes eines normalen und eines Radioweckers wachte er erst eine halbe Stunde später als vorgesehen auf. Ihm war, als wäre jemand dabei, seinen Kopf mit einem Vorschlaghammer zu malträtieren. WDR 2 spielte
›Dont’t worry, be happy‹. Ihm wurde kotzübel. Langsam und vorsichtig versuchte Rainer Esch aufzustehen. Kaum war sein Oberkörper unter Mithilfe beider Unterarme von der horizontalen in eine vertikale Stellung übergegangen, wurde ihm schwindelig. Erschöpft ließ er sich ins Kissen zurückfallen. Er war krank. Eindeutig. Mindestens ein Kreislaufkollaps. Wenn nicht sogar was Schlimmeres.
Das rhythmische Hämmern in seinem Schädel verhinderte jeden weiteren Gedanken. Stöhnend schlug er ein zweites Mal die Bettdecke zurück. Diesmal schaffte er es, beide Beine aus dem Bett zu schieben und sich auf die Bettkante zu setzen.
Dort ruhte er sich etwa eine Minute aus und dachte erneut darüber nach, warum zum Teufel er sich diese Tortur eigentlich zumutete. Nur wegen so einer Scheißklausur?
Endlich stehend, stützte sich Rainer mit der rechten Hand an der Wand ab. Er wartete einen Moment und schlurfte dann durch den Flur in die Küche. Dort nahm er ein Glas aus dem Schrank, öffnete den Wasserkran und suchte mit den Augen das daneben hängende Regal ab. Als er das Röhrchen mit dem Alka-Seltzer gefunden hatte, warf er eine Tablette in das gefüllte Glas. Sie löste sich sprudelnd auf. Rainer versuchte mit drehenden Handbewegungen, den Prozeß zu beschleunigen. Mit einem etwas stieren, nicht sehr intelligent wirkenden Blick beobachtete er die aufsteigenden Bläschen, um die Mischung schließlich in einem Zug auszutrinken. Er schüttelte sich.
Einen Moment dachte er daran, sich wieder hinzulegen. Dann füllte er doch die Kaffeemaschine mit mehr Kaffeemehl als üblich und wankte ins Bad.
Nach dem Duschen ging es ihm schon etwas besser. Rainers halbes Kinn war mit kleinen Fetzen Toilettenpapier bepflastert, mit denen er die Blutungen der Schnittwunden versuchte zu stillen. Vielleicht hätte er, dachte er sich, angesichts seiner etwas zitternden Hände auf eine Rasur verzichten sollen.
Seine Jeans lagen zwar nicht gerade da, wo er sie vermutet hatte, er konnte sie aber recht schnell aufspüren. Schwieriger war das mit seinen Schuhen. Den ersten entdeckte er unter dem Bett, der zweite fand sich nach längerer Fahndung auf dem Garderobenbrett, direkt neben Stefanies Schirm, der seit dem letzten gemeinsamen Besuch im Drübbelken vermißt wurde.
Bei diesem Gedanken fiel ihm der gestrige Abend wieder ein.
Erneut stieg Übelkeit in ihm hoch. Nie mehr Alkohol, schwor er sich. Nie mehr.
Na ja, wenigstens nicht bis heute abend, relativierte er seinen Vorsatz sofort.
Im Kleiderschrank fanden sich ein sauberes T-Shirt und ein fast sauberer Pullover. Da trotz intensiven Zähneputzens der schale Geschmack in seinem Mund nicht gewichen war, beendete Esch seine leicht verunglückte Morgentoilette mit einer ausgiebigen Odol-Spülung.
Er öffnete die Wohnungstür und nahm die WAZ von der Fußmatte. Sein Nachbar war also noch früher aufgestanden als er und hatte die Zeitung von unten hochgeholt. Rainer goß Kaffee in einen Becher, schaltete das Radio ein, griff nach der Zigarettenschachtel, um eine Reval herauszufingern, und begann zu lesen.
Er war gerade bei der dritten Reval, der vierten Tasse Kaffee und dem Vorbericht über das morgige Fußballspiel zwischen Borussia Dortmund und Schalke angelangt, als Radio FiV
Nachrichten sendete. Er hörte mit einem halben Ohr zu und widmete sich wieder dem Artikel und der voraussichtlichen Mannschaftsaufstellung.
»Bundeskanzler Kohl hat angesichts massiver Proteste der Bergleute Berichte dementiert, die Bundesregierung und vor allem ihr Wirtschaftsminister würden eine neue Kohlerunde vorbereiten. Kohl erklärte,
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