Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
Drahtzaun um die neugeschaffenen Heime für Asylbewerber ziehen.
Selbst wenn er sie gekannt hätte, hätte Cengiz Kaya die Geschichte des Wohnheimes völlig kaltgelassen. Der 28jährige hatte andere Probleme.
Zunächst einmal mußte er morgen in Recklinghausen auf Wohnungssuche gehen. Zwar könnte er auch im dortigen Wohnheim der Bergwerks AG unterkommen, er hätte aber schon gerne seine eigenen vier Wände. Seitdem er bei seinen Eltern ausgezogen war, hatte er auf zahllose Wohnungsangebote in den Zeitungen geantwortet, eigene Annoncen aufgegeben, sich auf die Warteliste der Wohnungsverwaltung der Zeche setzen lassen. Nichts.
Da er in Deutschland geboren war, sprach er akzentfrei Deutsch. Das konnte er von seinem Türkisch nicht gerade behaupten. Gut, er konnte sich verständigen, aber fließend sprechen? Er hatte Mühe, den Unterhaltungen der älteren Türken in der Kaue vor oder nach der Schicht zu folgen.
Mangelhafte Deutschkenntnisse waren also wohl nicht der Grund dafür, daß er keine Wohnung fand.
Cengiz Kaya war Bergmechaniker. Nach dem Besuch der Hauptschule hatte er 1982 seine Ausbildung auf dem Bergwerk Friedrich Gustaf begonnen und war seit 1985 Hauer im Untertagebetrieb derselben Zeche.
Er freute sich auf die nächste Woche. Seine Verlegung zur Schachtanlage Eiserner Kanzler in Recklinghausen war genehmigt worden. Wenn er Glück hatte, würde er dem Revier zugeteilt, in dem Klaus Westhoff Fahrsteiger war. Sofern er das noch war.
Klaus war sein Freund, dachte sich Cengiz. Na ja, vielleicht war Freund doch etwas übertrieben. Klaus Westhoff war als Vorgesetzter in Ordnung gewesen, ein richtiger Kumpel. Er hatte den Türken in der ersten Zeit nach Abschluß der Ausbildung an die Hand genommen und ihm gezeigt, wie der Laden unter Tage außerhalb des Ausbildungsrevieres so läuft.
Eigentlich hatte er das ja mit allen jungen Facharbeitern so gemacht. Aber trotzdem.
Cengiz streckte sich auf dem Bett aus und starrte zur Decke.
Vielleicht sollte er doch zunächst im Wohnheim ein Zimmer nehmen. Zumindest so lange, bis er eine preiswerte Wohnung gefunden hatte. Kontakt zu anderen fände er dort auch schneller. Und noch einen Vorteil hatte das Heim – es war billig.
4
Stefanie Westhoff hatte sich heute besonders schick angezogen. Der grüne, wadenlange Rock harmonierte gut mit ihrem beigen Rollkragenpullover. Dazu eine dunkelgrüne Kunstschmuckkette und ihre neuen, dunkelbraunen Stiefel –
sie gefiel sich.
Obwohl es erst kurz nach halb sieben war, waren schon einige Tische im Mykonos besetzt, vor allem die an den Fenstern zur Reitzensteinstraße. Der etwas kitschige Brunnen an der Kopfseite des Restaurants direkt neben dem Eingang plätscherte leise, aber kontinuierlich. Stefanie ging das Rauschen eigentlich nicht auf die Nerven, aber Klaus, ihren Bruder, störte es. Das schlage ihm auf die Blase, meinte er.
Die Bedienung im Mykonos war außergewöhnlich freundlich.
Das war der Grund, warum sie diesen Griechen den anderen in der Stadt vorzog. Außerdem war das Essen gut und reichlich.
Der Kellner zündete die Kerze auf dem Tisch an und reichte ihr die Speisekarte.
»Danke. Ich möchte einen weißen Demestica. Das Essen bestelle ich später, ich warte noch auf jemanden.«
Wenig später stand ihr Wein und der übliche BegrüßungsOuzo auf dem Tisch. Stefanie nippte an dem Schnaps und spülte den Geschmack mit dem Demestica herunter. An Ouzo würde sie sich nie gewöhnen. Sie fragte sich, was sie eigentlich in Griechenland trinken sollte. Dort werde bei jeder sich bietenden Gelegenheit der Anisschnaps aus Wassergläsern getrunken, hatte ihr eine Freundin erzählt. Na ja, manchmal übertrieb die ja auch ein bißchen. In etwa drei Wochen würde Stefanie es wissen. Schon seit langem war eine Woche Samos gebucht.
Ihre Uhr zeigte fast sieben. Wo bleibt Klaus nur? überlegte sie. Sonst war er doch immer pünktlich, jedenfalls meistens.
Sie versuchte sich an das gestrige Telefonat zu erinnern, als sie die Verabredung für den heutigen Abend getroffen hatten.
Hatte ihr Bruder da halb sieben oder halb acht gesagt? Nein, sie war sich sicher. Sie war pünktlich gewesen.
Lieber wäre sie ja mit Rainer essen gegangen. Er hatte jedoch keine Zeit, da er sich auf seine Klausur morgen vorbereiten und früh ins Bett gehen wollte. Stefanie hoffte, daß er die Arbeit nicht schon wieder in den Teich setzen würde.
Durchfallen wurde sonst für ihn zum Dauerzustand, und möglicherweise gewöhnte er sich
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