Zweyer, Jan - Rainer
wie ein Anhänger von Borussia Dortmund. Rainer meinte, sich zu erinnern, dass eine solche Versicherung nach einigen Jahren kündbar war. Wenn er das richtig im Kopf hatte, führte ein solcher Schritt allerdings meistens zu erheblichen Verlusten.
»Vor einiger Zeit habe ich das Kleingedruckte meiner Police genauer gelesen und festgestellt, dass es jederzeit die Möglichkeit gibt, den Begünstigten zu wechseln«, setzte Mühlenkamp seine Erläuterung fort.
Rainer ging in Gedanken seine nicht sehr umfangreiche juristische Bibliothek durch. Wo, zum Teufel, konnte er mehr darüber erfahren? Er versuchte, ein wissendes, leicht gelangweiltes Gesicht zu machen. »Hm.«
»Haben Sie schon mal etwas von der FürLeben GmbH
gehört?«
»Nein.« Esch erinnerte der Firmenname an einen Kampfruf katholischer Bischöfe gegen Abtreibung und vorehelichen Geschlechtsverkehr.
»Wenn ich meine Lebensversicherung kündigen würde, bekäme ich, wenn ich Glück habe, nur meine eingezahlten Beiträge heraus.«
»Klar.«
»Sobald ich sterbe, ist allerdings die volle Versicherungssumme fällig. Nur habe ich dann nichts mehr davon.«
»Aber Ihre Erben«, warf Rainer ein. »Oder Sie machen ein Testament. Damit können Sie das Erbe für Angehörige ersten Grades auf das Pflichtteil reduzieren.« Das war gut. So musste ein Anwalt agieren.
»Das wäre mein Bruder.«
»Der nicht. Nur Kinder oder Eltern erhalten ein Pflichtteil«, korrigierte Rainer.
»Egal. Ich habe mit ihm schon über meine Absichten gesprochen. Er stimmt mir völlig zu. FürLeben bietet Folgendes an: Die Gesellschaft vermittelt todkranke Menschen, die eine Lebensversicherung abgeschlossen haben und keine Erben absichern müssen oder wollen, an Investoren.
Es wird ein notarieller Vertrag geschlossen und die Investoren lassen sich als Begünstigte in die Versicherungspolice eintragen. Im Gegenzug überweisen die Geldgeber bis zu fünfundsiebzig Prozent der Versicherungssumme an FürLeben, die eine Provision von fünf Prozent abzieht und mit dem Rest den Kranken befriedigt.«
Hektisch griff Rainer zu einer weiteren Zigarette und steckte sie an. »Verstehe ich Sie richtig: Sie verkaufen quasi die Option, Begünstigter Ihrer Lebensversicherung zu werden?«
»Genau. Natürlich darf die Lebenserwartung des Versicherten nicht mehr allzu hoch sein, da sich das Investment für die Anleger sonst nicht rechnet.«
»Lebenserwartung… darf nicht… hoch sein…«, echote Rainer völlig konsterniert und verschluckte sich am Rauch.
»Wenn Sie das Modell durchdenken, werden Sie feststellen, dass es keinen Grund gibt, so schockiert zu sein. Es ist für viele Todkranke die einzige Möglichkeit, an Geld zu kommen, und für die Anleger ist es, wenn der Versicherungsnehmer eher als geplant stirbt, ein wirklich gutes Geschäft. Die Rendite ist dann auf jeden Fall höher, als wenn das Kapital zu üblichen Zinsen angelegt worden wäre.«
Mühlenkamp erklärte Rainer das Geschäft mit seinem Tod so, als ob er einen Kleinkredit aufnehmen wollte.
»Sehen Sie es doch von meiner Seite. FürLeben bietet mir fünfundzwanzigtausend Euro, wogegen ich mich sonst mit bestenfalls fünfzehntausend zufrieden geben müsste.«
Der Anwalt gewann nur mühsam seine Fassung wieder. »Und was erwarten Sie von mir?«
»Dieses Vertragsmodell stammt aus England. FürLeben ist erst seit kurzem auf dem deutschen Markt. Ich möchte sichergehen, dass die Verträge nicht sittenwidrig sind. Ich möchte keinen Prozess führen müssen, dessen Ausgang ich vermutlich nicht mehr erleben werde. Dann würde ich meine Versicherung lieber einfach kündigen.«
»Woher weiß der Investor, dass er nicht betrogen wird?«
»Der Kranke muss natürlich seine Lebenserwartung durch ärztliche Gutachten belegen. Von der restlichen Lebenszeit hängt die prozentuale Höhe der Zahlung ab. Bei mir würde der Höchstsatz gezahlt. Fünfundsiebzig Prozent. Mindestens einmal im Jahr müssen alle ärztlichen Gutachten, Untersuchungsergebnisse et cetera an den Anleger geschickt werden, damit der weiß, wann er mit der Rendite rechnen kann.«
Rainer klappte der Unterkiefer herunter. »Das heißt, der Anleger kennt Sie und wartet auf Ihren Tod?«
»So ist es. Wie auf die jährliche Wohnungsbauprämie.«
Jetzt war Esch völlig bedient. »Entschuldigen Sie mich einen Moment«, sagte er und stürmte aus seinem Büro in das Vorzimmer. Dort holte er zur Überraschung der Rechtsanwaltsgehilfin der Anwaltssozietät Schlüter und Esch die
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