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Zwielichtlande

Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kellison
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und taumelte zu Custo und dem Wolf, um den Irrsinn zu verhindern.
    Zu spät. Als sie auf sie zustürzte, machte Custo einen Schritt nach vorn und sog den Wolf in sich hinein.
    Schlagartig trübte sich der Tag ein, am blauen Himmel zogen Wolken auf, und es donnerte. Die Ränder der Welt wurden porös, die Töne rauer, und die Luft schmeckte bitter.
    Als Custo wild umherraste, stellte sich Annabella ihm mit ihrem ganzen Gewicht in den Weg. Seine moosgrünen Augen färbten sich vollkommen schwarz. Die Adern in seinem Nacken, seinen Unterarmen und auf seinen Handrücken verdunkelten sich, als würde sein Herz Schatten durch die Venen pumpen. Sein Gesicht war eine Maske kaum kontrollierter Wut.
    »Geh weg.« Vor lauter Anstrengung nahm seine Stimme ein tiefes Knurren an.
    Annabella duckte sich unter seinem ausgestreckten Arm hindurch und umklammerte ihn, wobei sie hinter seinem Rücken fest ihre Handgelenke umfasste, damit er sie nicht abschütteln konnte. Wenn Adams Männer schossen, mussten sie zuerst sie erschießen. Sie würde nicht von der Stelle weichen.
    »Ich kann ihn nicht mehr lange halten«, stieß Custo hervor und zerrte grob an ihren Handgelenken.
    »Daran hättest du früher denken sollen«, erwiderte Annabella und hielt sich trotzig fest. Aus ihrer Kehle drängte ein Schluchzen herauf, aber sie schluckte es herunter. Weinen konnte sie später. »Wie kannst du es wagen, den Platz mit mir zu tauschen? Das ist nicht richtig. Jeder hier weiß, dass das nicht richtig ist.«
    »Adam!«, rief Custo. »Nimm sie weg! Bitte!«
    Custo verwandelte sich in ihren Armen, seine Brust weitete sich, und er keuchte.
    Geduckt liefen zwei Soldaten hinter Custos Rücken her, bezogen Stellung und richteten die Waffen auf ihn. Aus dem Augenwinkel sah sie Luca, der eine lange blaue Klinge hielt.
    Selbst die Engel waren gegen sie.
    »Ich will dir nicht wehtun, Annabella.« Custo klang, als spreche er mit zusammengebissenen Zähnen.
    »Das wirst du nicht«, erwiderte sie. »Du liebst mich.«
    »Ja, aber der Wolf will dich« – Custo schüttelte sich – »unbedingt.«
    »Wie schrecklich, er zu sein.«
    »Das ist die einzige Möglichkeit«, sagte Custo. Seine Stimme hatte ein verstörendes animalisches Knurren angenommen, aber sie gab nicht auf.
    »Hör zu, Custo«, sagte Annabella. »Ich will nicht, dass du für mich stirbst. Was ist das für eine beschissene Geste für jemanden, den du liebst!« Die schlimmste überhaupt.
    »Annabella.« Die Knochen in seinen Schultern knackten.
    »Außerdem bist du schon einmal für jemanden gestorben«, fuhr sie fort, »und sieh nur, wozu das geführt hat.«
    Er knurrte an ihrem Ohr, sein Atem strich heiß über ihren Nacken.
    »Versuch zur Abwechslung etwas anderes.« Nun ließ sich ihr Schluchzen nicht mehr zurückhalten. Unter Tränen sagte sie: »Lebe.«
    Custo fasste Annabellas Handgelenke so fest, dass die Knochen sich bewegten. Sie wimmerte, aber sie ließ nicht los. Verschiedene Stimmen mit einander widersprechenden Botschaften hallten durch seinen Kopf. Töte sie. Liebe sie. Benutze sie. Vögele sie. Beschütze sie.
    Wo war Adam, wenn er ihn brauchte?
    Annabella hob den Blick zu ihm und sah ihn trotzig an. Ihre Iris war wieder blau, ihre Haut klar und makellos – alles wieder normal.
    Sie erwiderte seinen forschenden Blick. »Du hast schon besser ausgesehen«, stellte sie fest.
    In der Schaufensterscheibe eines Geschäftes auf der anderen Straßenseite erkannte er sich nicht wieder. Um mehr Muskeln und festem Fleisch Platz zu machen, hatten seine Knochen sich verformt. Seine Wangenknochen standen hervor, seine Augen waren größer, schwärzer, tiefer. Schatten pulsierten durch seine Venen und reizten seine Nerven. Die Kraft, die in ihm wuchs, war aufregend, verwirrend und verführerisch.
    Custo drehte sich langsam um und betrachtete die Straße. Soldaten, die Waffen im Anschlag, kauerten in einem weiten Bogen um ihn herum. Luca umklammerte sein Schwert so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Der Schattenmann wirkte nicht mehr desinteressiert, sondern schien Mitleid zu haben.
    Adams Waffe hing schlaff an seiner Seite. Er hatte einen Schritt auf Annabella zugemacht, tat so, als wollte er sie holen, blieb dann jedoch stehen.
    »Adam!«, schrie Custo.
    Adam kam nicht näher. Er unternahm keinen Versuch, Annabella zu retten.
    Custo blickte Hilfe suchend zum Himmel, doch der blieb verschlossen. Der Sturm trieb die dunklen Wolkenhaufen ineinander, sie verschlangen die Dächer der

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