Zwischen Ehre und Verlangen
war das jemand aus dem ‘Halbmond’“, warf Jane ein. “Auf dem Heimweg bin ich an Mr. Payne vorbeigekommen, der hierher unterwegs war. Wahrscheinlich hat er eine Nachricht von Mr. Bream überbracht.”
Amanda warf ihrer Gesellschafterin einen dankbaren Blick zu.
“Was will Mr. Bream von dir?” echauffierte sich Humphrey. “Er soll sich um seine Angelegenheiten kümmern. Seit er in Fredericks Testament so großzügig bedacht wurde, hält er sich für etwas Besseres, obwohl er früher nur Stallmeister war. Es schickt sich nicht, meine liebe Amanda, dass du Umgang mit einem Schankwirt pflegst!”
“Die Sache geht dich zwar nichts an, Humphrey, aber er liefert das Bier für meine Angestellten”, erwiderte Amanda kühl. “Bleibst du zum Mittagessen?”
Er pflegte es stets so einzurichten, dass Amanda ihn entweder zum Lunch oder zum Dinner einladen musste. “Ja, gern”, antwortete er rasch.
Man begab sich ins Haus, und Humphrey suchte den Salon auf, um dort auf die Damen zu warten, die sich die Hände reinigen wollten. Es dauerte nicht lange, bis sie erschienen, und gleich darauf verkündete Howlett, der Butler, es sei angerichtet zu Tisch.
“Habt ihr endlich eine neue Köchin gefunden?” erkundigte sich Amanda beim Essen.
“Leider nein”, sagte Humphrey bedauernd. “Seit die Howletts uns verlassen haben, weil sie lieber bei dir arbeiten wollten, musste meine arme Mutter eine Reihe von unfähigen, faulen und unsauberen Frauen ertragen, die für die Küchenarbeit vollkommen ungeeignet waren. Der Ärger, den diese inkompetenten Personen ihr gemacht haben, schadet ihrer Gesundheit. Aber auf dem Land kann man nicht erwarten, adäquates Personal zu bekommen.”
Amanda wusste genau, dass die Dienstboten in Kelling House es nicht bei Humphrey aushielten, weil dessen Mutter sich ständig in alles einmischte, nörgelte und mit nichts zufrieden war. “Du solltest heiraten, Humphrey”, schlug sie ihm in süffisantem Ton vor, “damit deine Gattin deine Mutter entlasten kann.”
Er ließ den Blick durch den Raum schweifen, schließlich auf Amanda verweilen und äußerte, Überraschung heuchelnd: “Das ist ein guter Einfall. Ich werde darüber nachdenken.”
Jäh begriff Amanda, dass sie unvorsichtig gewesen war. Humphrey hatte ihre spöttische Bemerkung für bare Münze genommen und glaubte nun offenbar, sie sei an ihm interessiert. Hastig wechselte sie das Thema und achtete bis zum Ende des Mahls darauf, dass die Rede nicht mehr auf verfängliche Dinge kam. Erleichtert hob sie schließlich die Tafel auf und war froh, als er verkündete, bedauerlicherweise müsse er nun fort. Sie begleitete ihn mit Jane in die Eingangshalle und verabschiedete sich höflich von ihm.
Kaum hatte Howlett die Haustür hinter ihm geschlossen, raunte Jane der Freundin zu: “Du meine Güte, Amanda! Was hast du jetzt angerichtet?”
“Hoffentlich kommt Humphrey nicht auf den Gedanken, mir den Hof zu machen”, antwortete Amanda seufzend auf dem Weg zur Treppe. “Wenn er vernünftig ist, wird er begreifen, dass ich nicht die richtige Frau für ihn bin. Nicht umsonst hat er dauernd etwas an mir auszusetzen.”
Jane schwieg, bis man im Salon Platz genommen hatte, und äußerte dann trocken: “Wenn du deine Meinung über Mr. Clare nicht geändert hast, meine Liebe, frage ich mich, warum du, als wir dich vorhin im Park trafen, so aufgeregt warst.”
“Ich?” Befremdet schaute Amanda ihre Gesellschafterin an. “Falls du glaubst, ich hätte mich über Humphreys Besuch gefreut, dann bist du im Irrtum. Du weißt sehr gut, dass ich ihn impertinent und lästig finde. Reden wir nicht mehr über ihn”, fügte sie beiläufig hinzu. “Ich bin dir dankbar, Jane, dass du mir mit dem Hinweis, Mr. Payne sei fortgeritten, aus der Verlegenheit geholfen hast. In dem Moment habe ich wirklich nicht gewusst, wie ich reagieren soll.”
“Ich nehme an, in Wirklichkeit hat es sich um Mr. Brownsmith gehandelt, nicht wahr?” fragte Jane neugierig.
“Ja”, bestätigte Amanda und mied den Blick ihrer Freundin. “Er hat im ‘Halbmond’ Quartier genommen.”
“Wie bitte? Das ‘Weiße Ross’ wäre für einen Mann von Stand doch sicher geeigneter.”
Plötzlich hatte Amanda Hemmungen, über ihn zu reden. Da sie Jane jedoch vertraute, überwand sie das Unbehagen und äußerte wahrheitsgemäß: “Er wohnt dort, weil er zurzeit mittellos ist und ich Mr. Bream vorgeschlagen habe, ihn gegen Kost und Logis als Buchhalter zu
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