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Zwischen Mond und Versprechen

Zwischen Mond und Versprechen

Titel: Zwischen Mond und Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Delany
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es war schon zu spät. » Es wäre nur fair « , murmelte er.
    Ich lehnte mich an dem einzigen Waschbecken an.
    » Meine Eltern sind beide tot « , sagte er, so leise, dass ich unwillkürlich näher rückte und mich neben seinen Knien hinkauerte. Ich berührte sein Bein. Er sah mir nicht ins Gesicht, sondern fixierte meine Hand. Ich wollte sie wegziehen, konnte es aber nicht.
    » Die Leute im Sekretariat… «
    » Meine Geschwister. «
    » Ach « , sagte ich. » Wie ist es passiert? «
    » Ich… Er schüttelte den Kopf und sprach nicht weiter. Ich verstand. Manchmal war es schwer, die richtigen Worte zu finden. Ich setzte mich neben ihn auf den kühlen Fliesenboden und gab ihm die Zeit, die er mir so bereitwillig gegeben hatte.
    Schließlich brach ich das Schweigen. » Und seit wann…? «
    » Vor fast einem Jahr. «
    Wir schwiegen eine Weile.
    » Versprich mir etwas, Pietr. «
    » Was? «
    » Dass jetzt, wo wir beide voneinander wissen… wo wir beide verstehen, warum… « Meine Stimme brach, ich bekam sie nicht mehr unter Kontrolle.
    » Was? « , fragte er und berührte meine Wange.
    » Dass wir an ihrem Todestag… «
    » Füreinander da sind? «
    » Ja. Vielleicht klingt das kitschig. « Ich errötete. Aber ich wusste nun, dass ich in meinem Schmerz nicht allein war. Pietr hatte ihn ebenfalls durchlitten. Durchlitt ihn noch immer. Es ergab irgendwie einen tieferen Sinn, wenn man wusste, dass man mit seinem Schicksal nicht allein war, dass nicht nur meine Familie davon betroffen war. Natürlich wusste ich, dass vor dem Tod alle gleich waren. Jeder musste irgendwann sterben. Das war so. Ganz normal. Aber an diesem Abend wurde mir das erst richtig bewusst. Und Pietr verstand mich.
    » Njet. Für mich klingt das nicht kitschig. « Er presste seine Lippen aufeinander. » Nur, ich nehme Versprechen sehr ernst. «

14
    I ch sah zur Seite. Ich konnte das nicht von mir behaupten. Aber diesem Versprechen wollte ich treu bleiben, solange er es zuließ. Es war schwer, jemanden zu finden, der einen verstand. Wirklich verstand.
    Fast als würde er mein Zögern spüren, setzte er sich gerade hin. Ich konnte förmlich sehen, wie er die Mauer zwischen uns wieder ein Stückchen hochzog. » Es ist nicht so ungewöhnlich, dass sie früh gestorben sind, schätze ich. In unserer Familie leben wir eh nicht so lang. «
    » Ein Herzleiden? «
    Er verschluckte sich beinahe. » Nicht ganz. Na ja, so ähnlich. «
    » Ich habe beobachtet, wie du isst « , bemerkte ich. » Du schlingst das Essen herunter wie ein Wolf. Versuch es doch mal mit Salat. Nicht so viel › Fleisch‹. « Beim letzten Wort pikste ich mit den Fingern Anführungsstriche in die Luft.
    Diesmal lachte er. » Ich glaube, du kannst jetzt wieder zum Ball gehen. «
    » Ja. « Im Spiegel prüfte ich ein letztes Mal mein Aussehen. Meine Augen waren noch geschwollen, aber die verschmierte Wimperntusche hatte ich halbwegs wegwischen können. Ich berührte meine Haare und vergewisserte mich, dass das mausbraune Durcheinander immer noch einen Halt hatte. Wenigstens etwas an mir sollte einen Halt haben, dachte ich. Pietr stand auf und ich sah ihn an. Obwohl mich seine Gegenwart total aus der Bahn warf, fühlte ich mich bei ihm sicher, geerdet– selbst als er mich beim Heulen ertappt und aus dem Ballsaal geschleppt hatte. » Also, gehen wir « , sagte ich.
    » Du siehst wirklich exquisit aus « , meinte er und hielt mir die Tür auf.
    Ich hätte ihm gern geantwortet, aber dann sah ich Sarah. Sie saß auf einer Bank, neben sich drei sorgfältig arrangierte Becher mit Punsch. Hinter ihr stand Amy und schlürfte an dem vierten Becher, als ob sie kurz vor dem Verdursten wäre.
    Amy gab mir mit wild gestikulierenden Händen zu verstehen, dass sie alles versucht hatte, um Sarah zurückzuhalten– warum wir so lange weg waren? Sie sah ziemlich genervt aus.
    Sarah sah uns entgegen und ich meinte, in ihrem Gesichtsausdruck einen Funken ihrer früheren Persönlichkeit aufglimmen zu sehen. Dieser Gedanke erschreckte mich so sehr, dass ich das Einzige tat, was mir im Moment möglich war: Ich eilte zu ihr und umarmte sie, um den Funken im Keim zu ersticken.
    Sarah stieß mich von sich und blickte forschend in mein Gesicht. Unter ihrem spekulativen Blick kam ich mir fade und langweilig vor. » Warum hast du vorhin geheult? « , fragte sie.
    Ich schob einen Becher zur Seite und setzte mich neben sie auf die Bank. » Ich weiß nicht genau, was der Anlass war « , antwortete ich. » Ich glaube,

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