Zwischen Mond und Versprechen
Grollen seiner Stimme in seinem Brustkorb. » Ich kann wirklich nicht verstehen, was du an diesem Derek findest. «
Ich schloss meine Augen und versuchte, an nichts anderes zu denken als an Pietr und daran, dass ich ihm in diesem Augenblick ganz nah war.
» I wanna know – why can’t this be love? «
Der Song von Van Halen ging zu Ende, ich ließ meine Arme sinken und trat einen Schritt zurück.
» Warte « , sagte er und verstärkte seinen Griff um meine Taille. Während der ersten Takte des neuen Lieds sah er abwesend zur Decke. Als er mich wieder ansah, lag etwas Trauriges und unendlich Einsames in seinen Augen… » Das ist mein Song « , flüsterte er.
Er zog mich an sich und schlang seine Arme um mich. Seine Hände lagen an meinem Rücken. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, also legte ich meine Wange an seine Brust.
Ich hörte sein Herz schlagen. Obwohl wir ganz langsam tanzten, raste es wie eine frisch aufgezogene Uhr. Wenn wir beide jetzt die Zeit verlangsamen könnten, könnten wir so bleiben: ganz nah, zusammen– für immer.
Ich schloss meine Augen, lauschte dem Song– seinem Song– und seinem Herzen. Die beide unterschiedlich tickten. » Queen « , flüsterte ich den Namen der Gruppe und stellte fest, dass der Titel aus dem Album stammte, das ich mir zu Hause angesehen hatte.
Sein Atmen klang sanft und schmelzend. Und ich entspannte mich, lehnte mich an ihn und wiegte mich sanft in seinen Armen. Nach einiger Zeit verlangsamte sich sein Herzschlag und klang fast wie bei einer normalen Uhr. Ich überlegte, ob auch für ihn die Zeit stehen blieb.
Wenn sich so die Ewigkeit anfühlte, dann wollte ich ewig leben.
» Who dares to love forever? «
» When love must die … «
Bei diesem letzten Vers zuckte er zusammen. Ich sah erschrocken in sein ernstes Gesicht und seine fest geschlossenen Augen und fragte mich, wie viel ich überhaupt von ihm wusste.
Kaum war das Lied zu Ende, quetschte sich Sarah regelrecht zwischen uns.
» Er wollte unbedingt mit seiner Führerin tanzen « , erklärte sie und sah mich breit lächelnd an. Dann legte sie ihre Hand auf seinen Arm. Besitzergreifend. » Er hat gesagt, Höflichkeit spiele für Leute seiner Herkunft eine große Rolle. Und was für ein interessantes Lied das war « , bemerkte Sarah.
Ich versuchte, mich zusammenzureißen und ergänzte: » Die Gruppe heißt Queen. Danke für den Tanz, Pietr. « Ich ließ Sarah nicht aus den Augen.
Amy fasste mich an der Schulter und schob mich fort. » Meine Mom wartet draußen auf dem Parkplatz « , sagte sie zu Pietr und Sarah gewandt. » Viel Spaß noch, ihr zwei. «
Wir schlüpften in unsere Schuhe und gingen nach draußen. » So « , sagte sie, kaum dass die Schultür hinter uns ins Schloss gefallen war, » glaubst du, dass jemand mit einem Schädeltrauma wie Sarah je wieder so wird wie vor dem Unfall? «
Ich fröstelte, aber nicht wegen des kalten Herbstwindes, der um meinen Rocksaum spielte, sondern wegen dieser Vorstellung. » Ich weiß nicht. «
» Na ja, hoffentlich nicht « , meinte Amy trocken, » denn wenn die alte Sarah jemals wieder zum Vorschein kommt und merkt, wie gut du dich mit ihrem hübschen Freund verstehst, dann gute Nacht. Dann wird dich nämlich deine sogenannte Freundin, dieses reizende kleine Miststück, bestimmt umbringen. «
Ich ließ meinen Kopf hängen, denn ich wusste, dass Amy recht hatte. Von dem ursprünglichen Trio– Jenny, Macie und Sarah– war Sarah nämlich am gerissensten gewesen. Und am gemeinsten.
Ich war nach keiner Party so erschöpft gewesen wie nach diesem Schulball. Nicht nur, weil meine Füße wehtaten, sondern weil mir mein Kopf und mein Herz schmerzten, denn ich wollte Pietr mehr als je zuvor. Wir hatten beide ein Elternteil verloren. Wir fühlten uns zueinander hingezogen und wir hatten viele Gemeinsamkeiten. Aber ich hatte ihn Sarah zugeschanzt und jetzt musste ich die Suppe auslöffeln, die ich mir eingebrockt hatte.
Meine Güte, war ich dumm. Aus schriftstellerischer Perspektive betrachtet, würde jeder gute Verlagslektor meinen Charakter streichen und ZDFL (Zu dumm fürs Leben) drüberschreiben. Na ja, vielleicht nicht zu dumm für das Leben, aber zu dumm für die Liebe.
Ich zupfte mein Nachthemd nach unten. Draußen wirbelte der Wind die Blätter durcheinander. Doch es war nicht das Blätterrascheln, das mich zum Fenster zog und mich in die Dunkelheit hinausspähen ließ.
Nein, es war das Heulen.
Ich hatte früher schon Kojoten heulen hören.
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