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Zwischen Mond und Versprechen

Zwischen Mond und Versprechen

Titel: Zwischen Mond und Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Delany
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Aber dieses Heulen war anders. Es klang voller, tiefer und länger. Der Ton verschmolz mit der Nacht, stieg aus der Dunkelheit empor und berührte den Sternenhimmel.
    Ich rieb mir die Arme, um das Kribbeln loszuwerden, das ich plötzlich spürte. Ich wusste beinahe instinktiv, dass das Heulen von einem Wolf stammte. War das damals vor dem Stall auch ein Wolf gewesen, in jener Nacht, bevor Pietr nach Junction gekommen war? Und war es vielleicht auch ein Wolf gewesen, der die Büsche entwurzelt und ein Stück Fell zurückgelassen hatte? Vielleicht waren es auch zwei Wölfe, die gegeneinander kämpften?
    Ich kroch wieder ins Bett, zog die Decke hoch und rückte mein Kissen zurecht. Eigentlich schlief ich immer leicht ein. Nur wenn der Albtraum über mich kam, kämpfte mein Körper gegen etwas, gegen das mein Geist sich nicht wehren konnte.
    Der Hartriegelbaum stand in voller Blüte, die rosa Blütenblätter waren weit geöffnet und streckten sich dem farbenprächtigen Sonnenuntergang entgegen. Ich erinnerte mich, einmal gelesen zu haben, dass die Blütenblätter Bissspuren des Teufels aufwiesen– dass Satan in die Blüten gebissen habe, rasend vor Wut über die Trauer des Baumes, für die Kreuzigung Christi missbraucht worden zu sein.
    Ich holte mein Handy und drückte auf Senden, als Moms Bild erschien. » Ja, ich warte am Hartriegelbaum « , hörte ich mich sagen. » Du bist schon unterwegs? Cool. « Ich klappte das Handy zu und sah auf die knorrigen Äste des Baums. Früher soll der Hartriegel groß wie eine Eiche gewesen sein. Als Jesus gekreuzigt wurde, benutzten die Römer angeblich das Holz des Hartriegelbaums, um das Kreuz zu zimmern. Jesus spürte den Kummer des Baums und versprach, er würde niemals mehr so groß oder gerade wachsen, dass er für solch grausamen Zweck missbraucht werden könnte. Und seit damals schrumpfte der Hartriegel, wurde klein und knorrig, aber auch zufrieden.
    Das Wispern von Reifen, die über rissigen Asphalt rollen, kündigte Moms Wagen an. Ich erkannte das Geräusch, ohne hinzusehen. Nur in meinem Albtraum drehe ich mich immer um und blicke ihr entgegen. Ich sehe, wie das Auto auf den Parkplatz einbiegt. Und dann, punktgenau wie ein schreckliches Uhrwerk, ist Sarah da– am Steuer des Jaguars ihrer Eltern. Sie fährt auf den Parkplatz. Auf einer Spritztour. Sie ist abgelenkt. Die Fahrer sehen sich. Reifen quietschen. Gummi qualmt. Zu spät. Bei dem Krach springe ich auf und schreie– es ist dasselbe Geräusch, das ich seit dem Unfall jede Nacht höre. Ich schreie, der Gestank der brennenden Reifen raubt mir den Atem, ich renne zu dem Knäuel aus Blech hinüber. 911…
    » Hier 911, Notrufzentrale. Was kann ich für Sie tun? «
    » Autounfall– beim Parkplatz zwischen der Fifth und Main « , keuche ich. » Zwei Autos…. «
    In meinem Kopf kreischt jemand– fleht–, warum geht der Traum weiter? Warum bricht er nicht ab? Wie sonst an dieser Stelle? Bevor es richtig schlimm wird? Bevor der wirkliche Schmerz einsetzt? WACH AUF !, schreit es in meinem Kopf, aber mein Körper befindet sich in einer Schockstarre, denn er weiß, was jetzt kommt, und ist nicht in der Lage, mich aus den Schrecken zu erlösen, die ich in meinen nächtlichen Träumen durchlebe.
    » Ihr Name, bitte? « , sagt die Stimme am Telefon.
    » Jessica Gillmansen. Zwei Autos– zwei Verletzte… oh Gott, es ist furchtbar. Bitte beeilen Sie sich… bitte, bitte… kommen Sie schnell! «
    Ich packe den Griff der Fahrertür. Moms Gesicht ist blutüberströmt, ihre Nase wurde beim Aufprall auf das Lenkrad gebrochen, aber ihre Augen sind klar. » Liebes, ich bin okay « , flüstert sie.
    Ich ziehe an der Tür. Sie klemmt. Ich reiße den Türgriff nach oben und fluche, als meine Nägel einreißen.
    » Ich bin okay, Jess « , wiederholt sie. » Aber die andere Fahrerin… «
    » Ist eine… « , ich will gerade » durchgeknallte Ziege « , sagen, halte aber beim Blick in Moms Augen inne.
    » Ist verletzt, Jess. Sieh nach ihr. «
    Ich zerre wieder an der Tür, werfe mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen und fluche, weil ich sie nicht aufbekomme. Ich renne auf die andere Seite. Die Beifahrertür ist von der Wucht des Aufpralls beinahe zusammengefaltet.
    » Hör auf « , keucht Mom. » Sie müssen mich mit einer Rettungsschere befreien, Schatz. Geh und sieh nach der anderen. « Sie sieht mich mit einem Blick an, der keinen Widerspruch duldet. » Du musst alles tun, was in deiner Macht steht, Jess. Geh. Jetzt. Auch sie hat

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