Zwischen Olivenhainen (German Edition)
ihr nicht in die Augen und plötzlich hatte sie Angst um das Leben des Kronzeugen.
Sie sollte recht behalten. Der Kronzeuge verschwand in der Nacht zu der Anhörung spurlos, als er gerade auf dem Heimweg zu seiner Familie war. Seine Leiche wurde nicht gefunden, aber im Fernsehen am nächsten Morgen behaupteten sie steif und fest, er sei tot. Jedenfalls waren das Gosettis Worte, der zu dem Thema interviewt wurde. Leslie schätzte, dass das tatsächlich der Wahrheit entsprach. Und sie hatte das ungute Gefühl, dass Raffaello sich nun noch mehr Ärger eingehandelt hatte. Er war früh am Morgen mit Mario zum Gericht gefahren und Leslie hatte den ganzen Morgen lang vor dem Fernseher gesessen und daran gedacht, wie Raffaello reagieren würde, wenn er hören würde, was sie alles über den Sender erfuhr. Beinahe war sie erleichtert, dass er nicht da war.
Aber da war noch die Angst um ihn, die in ihrem Magen aufkeimte. Angst davor, ihn zu verlieren, weil Gosetti genügend Beweise hatte, um ihn ins Gefängnis zu sperren. Sie schaltete den Ton aus, zog die Knie dicht an die Brust und dann saß sie den ganzen langen Tag auf dem Sofa und wartete darauf, dass Raffaello zurückkommen würde. Ohne Handschellen. Und ohne Gosetti.
Spät am Abend fuhr sie erschrocken hoch, als sie draußen in der Einfahrt Kies knirschen und gleich darauf eine Autotür zuschlagen hörte. Sie brauchte einige Sekunden, um sich daran zu erinnern, wo Raffaello gewesen war, scheinbar war sie eingeschlafen. Als sie hörte, wie ein Schlüssel im Schloss an der Tür herumgedreht wurde, schaltete sie hastig den Fernseher aus, warf sich auf das Sofa, kauerte sich zusammen und tat, als schliefe sie. Nur ihren Atem konnte sie nicht daran hindern, immer schneller zu werden vor Aufregung. Schritte ertönten im Wohnzimmer, dann landete Raffaellos Jacke schwungvoll direkt auf Leslies Kopf. Sie richtete sich erschrocken auf – und dann sah sie ihn dastehen. Er wirkte todmüde, aber auf seinen Lippen lag ein zufriedenes Lächeln.
„Oh“, entfuhr es ihm überrascht, als er bemerkte, dass er ihr seine Jacke übergeworfen hatte. „ Scusi , ich dachte, du schläfst längst.“
„Hab’ ich auch“, entgegnete Leslie und schlüpfte in seine Jacke, die ihr viel zu groß war. Raffaello setzte sich neben ihr auf die Couch und sah sie einfach nur an. Musterte die müde Leslie, die in seinem Jackett steckte, ihre zerzausten Haare.
„Ich hab’s geschafft“, sagte er dann irgendwann in die Stille hinein. „Mario hat mich da rausgeholt. Es war gar nicht mal so schwer, obwohl Gosetti ordentlich auf mir rumgehackt hat.“ Er lächelte. „Und die Richterin konnte mich ebenfalls nicht ausstehen. Ihr Kollege hat dafür gesorgt, dass … Nun ja“, – er räusperte sich – „jedenfalls bin ich ein freier Mann.“ Leslie konnte sich denken, warum.
„Du hast den Typen geschmiert“, sagte sie trocken. Und wahrscheinlich nicht nur den Richter. Raffaello verzog keine Miene, er beugte sich nur zu ihr hin und küsste sie, als habe er sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.
„Ich hab’ die ganze Zeit über daran gedacht, dass ich dich wiedersehen muss. Dass ich dich nicht hier alleine lassen kann“, flüsterte er, „das scheint geholfen zu haben.“ Er grinste schwach. „Ich bin todmüde“, sagte er irgendwann. „Lass uns schlafen gehen, ja?“
Aber Leslie konnte nicht schlafen. Sie saß hellwach auf dem Bett neben Raffaello, der mit nacktem Oberkörper neben ihr lag und tief und fest schlief. Er schnarchte sogar ein kleines bisschen. Leslies Gedanken schweiften ab. Zu den Sendungen, die sie im Fernsehen gesehen hatte. Zu Raffaellos Schilderungen von der Anhörung. Er war aus allem sauber rausgehäkelt worden. Von Mario. Und mithilfe von Geld. Viel Geld. Sie fragte sich, warum sie nicht entsetzt war darüber, aber im Grunde wusste sie genau, dass sie sich daran gewöhnt hatte. Nicht zu viele Fragen zu stellen. Sich alles Weitere zu denken. Sie ließ den Blick über Raffaello wandern. Schwaches Mondlicht fiel durch das geöffnete Balkonfenster und überzog seine Haut und sein Haar mit einem silbernen Schleier. Er sah so unschuldig aus. So friedlich. Als habe er nie jemanden getötet. Als habe er nicht unzählige Polizisten und Richter geschmiert. Als sei er in keinerlei illegale Geschäfte verwickelt. In diesem Moment sah er nicht aus wie ein Mafiaboss. Und beinahe wünschte sich Leslie, sie könnte es glauben und ihm auf immer und ewig vertrauen.
Sie warf ihm
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