Zwischen Rom und Mekka
wollte. In der »Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nicht christlichen Religionen ›Nostra Aetate‹« (»In unserer Zeit«) am 28. Oktober 1965 (siehe Kapitel 11).
Da musste der Theologe Ratzinger auf dem Konzil in Rom dazulernen. Denn seine Antrittsvorlesung als ordentlicher Professor in Bonn (1959) hatte er über das Thema gehalten: »Der Gott des Glaubens und der Gott der Philosophen«. Das kreiste um sein Lebens- und Lieblingsthema, das Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft. Doch über Glaube und Vernunft in der abendländisch-europäischen Geistesgeschichte. Die Bischöfe des »Vaticanum II« aber entdeckten plötzlich, dass es nicht nur
einen Gott des christlichen Glaubens gab, ganz zu schweigen von jenem der Philosophen, nicht nur einen jüdischen, wie er in der Bibel, dem christlichen Alten Testament, auftritt, sondern auch einen Gott anderer nicht christlicher Religionen. Arabische Autoritäten - Staaten, mit denen der Vatikan schon damals diplomatische Beziehungen unterhielt, und Gelehrte - übten politischen Druck aus und wiesen darauf hin, dass man nicht ihre, eine ganze Welt vergessen könne. Dass außerdem die Kirche sich nicht allein auf die Verurteilung, das »Beklagen« des Antisemitismus fixieren dürfe (siehe Kapitel 11).
Dass damit ein Minenfeld betreten, ein explosives Gemisch bereitgestellt war, merkte man einige Jahre später in Deutschland, als am 5. September 1972 während der friedlichen Olympischen Spiele in München arabische Terroristen das Quartier des israelischen Teams überfielen, zwei Sportler sofort töteten, andere als Geiseln nahmen und die Freilassung von arabischen, palästinensischen Häftlingen aus Gefängnissen in Israel forderten. Bei dem Befreiungsversuch durch deutsche Sicherheitskräfte starben fünf Terroristen, ein Polizist und alle Geiseln. Es war ein unauslöschlicher Schock für alle Deutschen - jeder Zeitzeuge von damals weiß, wo und wie er die Nachricht erhielt -, auch für Joseph Ratzinger, der als Professor im nahen Regensburg an der Universität lehrte. Der Einbruch des Schreckens aus national-religiös motivierter Gewalt verstörte nachhaltig. Seitdem schob sich in der öffentlichen Meinung Deutschlands immer stärker in den Vordergrund, dass Konflikte nicht nur aus den unterschiedlichen Interessen der Nationen entstehen, sondern fast mehr noch aus den Differenzen der Kulturen und Religionen, vor allem von Juden, Christen und Muslimen.
Ganz so weit war man in den Siebzigerjahren noch nicht, weder in Deutschland noch in den Meinungszentren der Welt. Vor allem spielte das für mich persönlich keine Rolle, weil ich einen guten muslimischen Freund gewonnen hatte, Ahmed aus Ägypten. Ahmed, 1933 am Suezkanal geboren, war als Medizinstudent nach Deutschland gekommen. Weil seine Familie im Zweiten Weltkrieg deutschen Kriegsgefangenen in einem nahen englischen Sammellager geholfen hatte und einer von ihnen,
aus Heidelberg, Ahmed und seine Brüder aus Dankbarkeit in seine Heimat eingeladen hatte - »wenn das alles vorbei ist«. So reiste Ahmed nach Heidelberg, verliebte sich in die Schwester des Kriegsgefangenen, nahm ein Medizinstudium in München auf, absolvierte es mit Auszeichnung und erwies sich als vorzüglicher Chirurg in der Frankfurter Universitäts-Unfallklinik. Wir lernten Ahmed mit seiner Frau und drei bildhübschen Töchtern kennen, als wir in Luxor, Assuan und Abu Simbel die großartige Kultur der alten Ägypter bewunderten.
Zuvor hatten wir in Kairo die Moscheen als kunstvolle Zeugnisse einer Weltreligion bestaunt und jene berühmten in Damaskus, Jerusalem und Istanbul, tief beeindruckt von der hohen Kultur, die sich darin ausdrückte. Das religiöse Leben schien mir jedoch - nicht zuletzt im Vergleich mit deutschen, europäischen Kirchen - etwas schläfrig angesichts weitgehend leerer Gebetsräume. Der Islam und die Muslime waren in den Sechziger- und Anfang der Siebzigerjahre noch nicht »aufgewacht«, sich ihrer Macht und Wirkungsmöglichkeiten nicht bewusst geworden. Wir hatten die respektvollen Besichtigungen natürlich stets ohne Schuhe vorgenommen, uns strengem Gebot und scharf wachenden Augen gebeugt. Zuerst widerwillig, dann fiel uns das analog passende Bibelwort ein. Gott sprach zu Moses aus dem brennenden Dornbusch (2. Buch Mose, Exodus, 3. Kapitel): »Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!«
Vielleicht, dachten wir, machen wir etwas falsch in den
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