Zwischen Rom und Mekka
langen Pontifikats nolens und volens, gezwungenermaßen und aus eigener williger Überzeugung, das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und dem Islam zu einem Hauptthema der Weltpolitik machte.
Die Darstellung der verschiedenen Etappen dieser Entwicklung, bei denen ich »dabei war« - ein Glücksfall für einen Journalisten, wenn er als persönlicher Zeuge weltpolitischen Ereignissen beiwohnen darf -, bildet einen wichtigen Teil dieses Buches. Die Vorbereitung für den Welt-Kirchen-Politiker Johannes
Paul II. bieten die drei italienischen Päpste Pius XII., Johannes XXIII. und Paul VI., denen der Halbmond langsam aufging. Doch bahnbrechend ist vor allem das Zweite Vatikanische Konzil, mit
1. der revolutionären Erklärung über die Religionsfreiheit,
2. der Erklärung über die nicht christlichen Religionen, den Islam an wichtigster Stelle, und schließlich - was oft zu wenig gewürdigt wird, doch gerade im Verhältnis zum Islam ein Hauptdokument darstellt -
3. die »Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung« (siehe Kapitel 13).
Das Schlüsselerlebnis zu diesem Buch jedoch gaben die Vorlesung Papst Benedikts XVI. am 12. September 2006 in Regensburg und die Reaktionen darauf bis heute. In seiner Vorlesung über »Glaube, Vernunft und Universität« laufen die historischen und geistesgeschichtlichen Linien der vergangenen Jahrhunderte zwischen Kirche und Moschee, Christentum und Islam zusammen, wird zugleich ein Tor aufgestoßen, fast schon eine Stra ßenkarte für den künftigen Dialog aufgeschlagen. Denn Dialog muss sein! Wenn nicht zwei verschiedene Weltreligionen und ihre Anhänger in Unverständnis und Ablehnung aufeinanderprallen wollen. Welche Sprengkraft in Fragen und Antworten stecken konnte, erwies sich nach Regensburg. Es ist jene bayerische Stadt, in der Joseph Ratzinger geruhsam seinen Lebensabend als gelehrter emeritierter Professor verbringen wollte. Von Ruhe kann nun keine Rede mehr sein.
Teil I
Was auf dem Spiel steht
Kapitel 2
Führungswechsel bei den Weltreligionen - Im Statistikbüro des Vatikans
Ende März 2008 war es so weit. Der Leiter des »Statistischen Zentralbüros der Kirche« im Vatikan (Ufficio Centrale di Statistica della Chiesa, lateinisch: Generale Ecclesiae Rationarium), Vittorio Formenti, hatte etwas entdeckt. Nichts Sensationelles, wie ihm schien. Denn er hatte es schon lange kommen sehen. Das mit der Zahl der Katholiken und jener der Muslime. Ganz genau weiß man das nicht, weil nicht überall korrekt gezählt wird, oder manchmal gar nicht, oder nur über den Daumen gepeilt. Aber er, der Monsignor Formenti im Apostolischen Palast des Papstes zu Rom, muss trotzdem daraus verlässliche Zahlen gewinnen. Kann er auch. Weil er eben Statistiker ist und zudem in kunstreichen Räumen arbeiten darf, neben der weltberühmten ehrwürdigen Sala Clementina, in der sonst die Päpste zu den Kardinälen über ernste Angelegenheiten sprechen oder im April 2005 der tote Johannes Paul II. aufgebahrt wurde.
Also waltete Formenti nur routinemäßig seines Amtes im vatikanischen Staatssekretariat und schrieb einen Artikel für die offizielle Vatikan-Zeitung, den »Osservatore Romano« (»Römischer Beobachter«). Es ist nur so, dass der »Ehrenprälat Seiner Heiligkeit« (seit 1996) aus dem norditalienischen Brescia und sein kenntnisreicher Mitarbeiter, Professor Enrico Nenna, gern einmal aus ihren Zahlen, Zahlen, Zahlen auftauchen und Vergleiche anstellen. Da hatten sie herausgefunden, dass die Zahl der Katholiken in aller Welt nach ihren Berechnungen für das Jahr 2006 zum ersten Mal hinter jene der Muslime zurückgefallen war. Und das auch noch kräftig. 17,4 Prozent der Weltbevölkerung
seien, so Formenti im »Osservatore Romano«, katholisch; das könne er ziemlich genau aufgrund sorgfältig erhobener Daten bestätigen. Nach Angaben verschiedener Quellen sei der Prozentsatz der Muslime jedoch auf 19,2 zu veranschlagen, auf 1,3 Milliarden Anhänger des Propheten Mohammed. Formenti vermied, dem die absolute Zahl der Katholiken gegenüberzustellen; es wären rund 1,18 Milliarden. Der Islam die größte Weltreligion! Das ging als Schlagzeile um die Welt, gleichsam als Informationslawine in das globale Internet, und wurde allgemein als Sensation empfunden.
Die wollte der freundliche Vatikan-Prälat, wie er in einem Gespräch sagt, eigentlich vermeiden. Auch die Kurzinterpretationen, die wie Frontberichte aus einem Krieg klangen. »Zum ersten Mal in der Geschichte sind
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