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Zwischen Rom und Mekka

Titel: Zwischen Rom und Mekka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz-Joachim Fischer
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Nahen Ostens befassen. Furcht vor diesen Fremden empfand man keine. Weshalb auch? Gerade erst, 1961, als ich 17 Jahre alt war und Tamara kennenlernte, hatte die Bundesrepublik Deutschland mit der Türkei ein Anwerbeabkommen über Gastarbeiter geschlossen. Aber das hatte mit Tamara nichts zu tun. Was der Zustrom von Tausenden, Hunderttausenden türkischer junger Männer, von Muslimen, nichtchristlichen Südeuropäern, für Folgen haben würde, ahnte damals noch niemand. Wenn man sich überhaupt über Langzeitwirkungen dieser Migration Gedanken machte, dann dachte man wohl eher an die geräuschlose Integration der Polen des 19. Jahrhunderts im Ruhrgebiet oder auch in Berlin - die Namen einiger meiner Mitschüler, zum Beispiel mit der Endung »inski«, klangen polnisch; ihre Sprache war aber so berlinerisch wie unsere. Oder an die der italienischen Gastarbeiter, die schon in das Deutsche Kaiserreich gekommen waren. Für 1891 werden fast 6000 Italiener allein in Ziegeleien der Hauptstadt des Königreichs Bayern, in München, gezählt.
    Noch etwas anderes erzählte man damals in Berlin: Im Dritten Reich seit 1933 waren einige Deutsche vor der Nazi-Diktatur auch in die Türkei geflohen und hatten dort wegen ihrer Qualifikation und Tüchtigkeit als Professoren an den Universitäten in Istanbul oder Ankara, als Steuerreformer oder Berater geschätzte Aufnahme gefunden. Dann zogen diese jedoch weiter,
meist in die Vereinigten Staaten von Amerika, oder kehrten nach Deutschland zurück, wie Ernst Reuter (1889-1953), der es vom zwangsemigrierten deutschen Gastarbeiter in der Türkei zum legendären Berliner Bürgermeister gebracht hatte. In den Wechselfällen des Zweiten Weltkriegs wurden mehr als 300 000 Italiener als Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert, nach Kriegsende gingen die meisten erst einmal wieder zurück. Migration und Integration von Ausländern, von Christen oder Nichtchristen, waren damals nicht die großen Themen der Politik. Aber Beziehungen und Kontakte über Grenzen hinweg bestanden.

Joseph Ratzinger und katholische Klischees
    Weshalb erwähne ich diese Jugendeindrücke in einem Buch über Päpste und Muslime? Impressionen, die mehr oder weniger harmlosen Klischees entsprachen. Die meinen späteren eindrucksvollen Erfahrungen mit den großen Kulturzeugnissen des Islam vorausgingen. Vielleicht, weil viele in Deutschland in ihrem Verhältnis zum Islam aus »1001 Nacht«, Karl May oder ähnlich Fantastischem emportauchen mussten, um die Wirklichkeit mit Muslimen als Nachbarn und Mitbürgern wahrzunehmen. Ich beginne jedoch vor allem deshalb damit, weil es die weit verbreiteten Vorstellungen im Katholizismus jener Zeit über den Islam waren und weil ich mit gutem Grund bei dem jetzigen Papst, Benedikt XVI., seit April 2005 im Amt, in den ersten Jahrzehnten seines Lebens ein ähnlich diffuses und vages Vor-Bild und Verständnis vom Islam gefunden habe. Während langer Jahre der persönlichen Verbundenheit mit Joseph Ratzinger seit 1976, mit dem Theologieprofessor, dem Erzbischof von München und Freising und dem Kardinal-Präfekten der Vatikanischen Glaubenskongregation in Rom, habe ich bei ihm nie etwas gefunden, was wesentlich darüber hinausging oder tiefer in die Welt des Islam eindrang. Andere, die ihn gut kennen, bestätigten mir dies.
    Noch mehr. Man geht nicht fehl, bei den letzten Päpsten der neueren Zeit, bei Pius XII. (geboren 1876, Amtszeit 1939 bis
1958), Johannes XXIII. (1881, 1958-1963), Paul VI. (1897, 1963-1978) und Johannes Paul II. (1920, 1978-2005), ein ähnlich diffuses, vages und distanziertes Vorverständnis vom Islam und den Muslimen anzunehmen, nicht aus historisch-wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern als ein im europäischen Katholizismus allgemein verbreitetes Leer-Bild mit einigen ungenauen Wissensklecksen.
    Es war wohl lediglich ein Kuriosum, dass Pius XI. (1857, 1922-1939) 1919 zuerst zum Titular-Erzbischof von Lepanto ernannt worden war. Nur wenige werden da aufgemerkt haben. Bei diesem Ort, dem heutigen Nafpaktos in Griechenland am Übergang des Golfs von Patras in den Golf von Korinth, fand am 7. Oktober 1571 eine weltgeschichtlich bedeutsame Seeschlacht statt. Die christlichen Mächte, die »Heilige Liga« unter spanischer Führung und Juan de Austria, besiegten die Türken, der Papst den Sultan. Der Mythos der osmanischen Unbesiegbarkeit und der Traum von der muslimischen Weltmacht zur See waren dahin. Aber Pius XI. dachte nicht daran, dies irgendwie während seines

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