Zwischen Rom und Mekka
christlichen Kirchen. Weil es uns unhygienisch oder zu kalt ist? Oder konnte man die göttlichen Worte aus den Heiligen Schriften das eine Mal wörtlich nehmen, das andere Mal sich zurechtbiegen? Ahmed lehrte mich in Frankfurt am Main, dass seine, die muslimische religiöse Überzeugung in ihm tief und fest verwurzelt war, ungeachtet der langen Jahre, die er schon in Deutschland verbracht hatte. Eigentlich war es umgekehrt. Je älter er wurde, je länger er in Deutschland blieb, desto muslimisch-gläubiger zeigte er sich.
Auf Ahmeds Vermittlung ging auch ein Erlebnis zurück, das mir das Verhältnis zwischen den Kulturen und Religionen aus
einer ganz anderen, doch vielleicht - für die gegenwärtige Diskussion in Deutschland über Islam und Integration - wohl wichtigeren Perspektive beleuchtete. Auf dem Weg zum Zahnarzt in der Frankfurter Universitätsklinik öffnete sich zur Linken plötzlich die Tür zu einem großen Saal. Darin saßen, lagen auf den entsprechenden Behandlungsstühlen Dutzende von Frauen, die nach ihren Kopftüchern unschwer als Türkinnen aus Anatolien zu erkennen waren. »Da lernen unsere Studenten«, sagte ein Arzt. »Die Türken lassen ihre Familien zur Zahnbehandlung nach Deutschland kommen.« Das machte mich sehr nachdenklich. Denn da vermischten sich die Unterschiede der Religionen und Kulturen mit sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen.
Römische Lehren
Eine ganz andere Dimension öffnete sich für mich als Korrespondent der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« seit 1978 in Rom. Ich war zuständig zunächst für Italien und die italienische Innenpolitik. Dafür stellten Muslime noch kein Problem dar. Man begegnete selten welchen. Und falls doch, wie zum Beispiel Marokkanern, die am Strand Sommersachen mit sich schleppten und günstig feilboten, dann machten sie kein Aufhebens von religiösen Überzeugungen und Sitten; das hätte die kleinen Geschäfte gestört. Die Schlagzeilen über »Clandestini«, geheime illegale Einwanderer, »Extracomunitari«, Immigranten aus Staaten »außerhalb« der Europäischen »Gemeinschaft«, tauchten erst später auf. Doch gerade im Unterschied zu Deutschland fiel mir auf, dass Italiener wegen ihrer Geschichte und der geografischen Lage ihrer langen »Stiefel«-Halbinsel im Mittelmeer ein ganz anderes Verhältnis zum Islam und zu Muslimen haben als West-, Nord- oder Mitteleuropäer, die Wiener (siehe Kapitel 5 und 6) einmal ausgenommen. Die größere Nähe zu arabischen und muslimischen Staaten lässt Italiener vieles realistischer, politisch nüchterner und pragmatischer sehen. Italien bildet in diesem Bereich - wie Deutschland - einen Sonderfall, war mein Fazit (siehe Kapitel 6).
Dass in Rom, in der Stadt des Papstes, des Primas von Italien
und (bis 2006) Patriarchen des Abendlandes, wie die Ehrentitel lauten, eine Moschee geplant und gebaut wurde, interessierte zuerst nur am Rande. Das Projekt erschien als Relikt aus den Zeiten der Ölkrise, in der arabische und muslimische Staaten ein politisches Instrument für und gegen den Westen entdeckt hatten, als eine kalkulierte Konzession der italienischen Regierung unter dem schlauen Meisterpolitiker Giulio Andreotti. Das dafür in Aussicht genommene Gelände lag außerhalb der historischen Innenstadt, etwas versteckt am Abhang der Villa Ada und des Monte Antenne. Das Minarett konnte also die Silhouette der Ewigen Stadt nicht stören, seine Höhe bedeutete keine Konkurrenz für christliche Kuppeln und Türme. Da der Bauplatz nicht weit entfernt von meinem Büro am Tiber lag, erkundete ich von Zeit zu Zeit beim Jogging am Tiber die Baufortschritte und stellte fest, dass es keineswegs atemberaubend schnell voranging (siehe Kapitel 7).
Doch wie das Bauwerk wuchs, der Bau eines Tages beendet war und die Ewige Stadt des Papstes die größte Moschee Europas aufwies, so wurde auch wichtiger, was sich zwischen dem Vatikan und der Welt des Islam tat. Und da geschah einiges, worüber ich zu berichten hatte. Denn als Rom-Korrespondent war ich Ende der Siebzigerjahre auch feierlich bei der »Sala Stampa della Santa Sede«, beim Presseamt des Heiligen Stuhls, akkreditiert. Mit dem Vatikan war ich zuständig weniger für fromme Sachen, sondern für einen großen Papst, seit dem 16. Oktober 1978 Johannes Paul II., der die Welt beeindruckte und bis zu seinem Tod am 2. April 2005 in Atem hielt, der bei seinen unzähligen Reisen auch die Staaten und Völker mit muslimischen Mehrheiten nicht mied und während seines
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