Zwischen Rom und Mekka
Pontifikats aufzunehmen; in den Zwanzigerund Dreißigerjahren - Benedikts XVI. Kindheits- und Jugendzeit - schien die islamische Weltreligion zu schlafen.
Zuerst also orientalische Märchen und Karl May. Nicht viel mehr. Was sonst? Joseph Ratzinger ist am 16. April 1927 in Marktl am Inn geboren und im katholischen Bayernland aufgewachsen. In diese heile, heimelige Welt brachen das Hakenkreuz der Nazis (seit 1933) und der Zweite Weltkrieg (1939-1945) ein, nicht der muslimische Halbmond. Den Zwiebeltürmen der Kirchen im Voralpenland machten keine Minarette Konkurrenz. In der Autobiografie von Joseph Kardinal Ratzinger, »Aus meinem Leben. Erinnerungen (1927-1977)«, ist Muslimisches nicht zu finden. In den vielen persönlichen Unterredungen, die ich mit dem Professor und Kardinal Ratzinger zwischen 1976 und 2005 als Journalist und immer vertrauterer Gesprächspartner führen konnte, tauchte das Thema »Islam, Muslime, Moschee« für einen langen Zeitraum nur am Rande auf. Das war repräsentativ für einen katholischen Theologen und Kirchenführer jener Zeit.
Dabei waren dem Theologen Ratzinger die muslimischen Philosophen des Mittelalters, ein Averroes als Kommentator des griechischen Philosophen Aristoteles, ein Avicenna als Wissenschaftler etwa, zweifellos nicht unbekannt. Als Professor für Dogmatik, das zentrale Fach der katholischen Glaubenslehre, und Fundamentaltheologie, die Grundlegung der Glaubenswissenschaft aus der Spannung zwischen Glaube und Vernunft, musste Joseph Ratzinger nicht Experte für Geschichte und Kirchenhistorie sein. Aber schon in seinen ersten wichtigen Arbeiten von 1954 und 1959, etwa über den bedeutendsten lateinischen Kirchenvater der Antike, Augustinus (354-430), aus dem nordafrikanischen, zuerst ganz christlichen, dann ganz muslimischen Hippo, oder den mittelalterlichen Kirchenlehrer Bonaventura (1221-1274) aus dem Orden des Franz von Assisi, zeigte sich, dass er Glauben und Dogmen ganz geschichtlich in ihrer Entwicklung in einem historischen Kontext verstand, nicht als lebloses Monument aus der Ewigkeit gefallen. Joseph Ratzinger, der theologische Autor, näherte sich dem Islam auf dem Weg seiner geisteswissenschaftlichen Arbeiten.
Heilige Kriege
Natürlich waren dem Professor Ratzinger die Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Moschee, der Christenheit und der Islamgemeinschaft, zwischen den Päpsten und den muslimischen Mächten vertraut. So bekannt, dass ihm »Kreuzzug« oder »Heiliger Krieg« nichts anderes als Stich- und Schlagworte waren, mit denen man in einer Diskussion stechen und schlagen, aber nicht wirklich einen Erkenntniszuwachs gewinnen konnte. Da musste man schon tiefer in die Geschichte und in das Wesen der Religionen eindringen, so schien es ihm. Immerhin öffnete sich gerade dabei ein weites Feld von Fragen und Überlegungen.
Waren etwa diese bewaffneten Wallfahrten nach Jerusalem im Mittelalter (vom Ende des 11. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts) im vollen und einzigen Sinn »Heilige Kriege« der Christenheit gegen die Ungläubigen (siehe Kapitel 33)? Die Antwort
auf die Expansion des Islam in den Jahrhunderten zuvor in christliche Gebiete Asiens, Afrikas und Europas hinein (siehe Kapitel 32)? Dessen »Heilige Kriege gegen die Ungläubigen« erwidernd? Noch mehr: Selbst katholische Kirchenhistoriker zögern nicht, in den Kreuzzügen eine Entwicklungsstufe des Papsttums zu sehen. Indem die römischen Bischöfe zum Kreuzzug aufriefen - »Gott will es« - und ihnen bereitwillig Folge geleistet wurde, indem sie so die aus verschiedenen Nationen bestehende abendländisch-europäische Christenheit einten, festigten sie die Stellung des Papsttums, die geistliche Herrschaft der Päpste im Abendland (siehe Kapitel 33). Aber für den Professor in Deutschland, in Freising bei München (1958/59), in Bonn (1959-1963), Münster (1963-1966), Tübingen (1966-1969) und schließlich Regensburg (1969-1977), waren diese Themen nicht vorrangig, benötigten die Fragen noch keine Antwort.
Die Wende des Konzils
Immerhin erlebte Joseph Ratzinger während des Zweiten Vatikanischen Konzils unter Johannes XXIII. und Paul VI., der Bischofsversammlung der katholischen Weltgemeinde im Petersdom zu Rom von 1962 bis 1965, wie sich das Thema »Kirche - Moschee« vom äußersten Rande des Interesses in dessen Fokus schob. Allerdings über einen Umweg. Weil das Konzil das Verhältnis des Christentums zu den Juden nach Jahrhunderten des Befremdens und der Feindseligkeiten neu bestimmen
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