Zwischen sieben und zwölf Uhr
zuzurufen.
Glücklicherweise war der nächste Wagen nicht allzuweit entfernt. Ich stieg ein, und da ich in dem Kutscher einen Bekannten entdeckte, faßte ich neue Hoffnung. Es brauchte nicht viel Ueberredung, um ihn zu bestimmen, seine Pferde ein wenig raschergehen zu lassen, als der Fahrplan vorschrieb, so daß wir binnen wenigen Minuten dem Wagen vor uns nahe genug gekommen waren, um die Gestalt eines jeden unterscheiden zu können, der ihn verließ. So konnte ich Fräulein Irwin so bequem verfolgen, als wenn ich im selben Wagen mit ihr gesessen hätte; und als sie nach kurzer Fahrt ausstieg, schritt ich leichtfüßig hinter ihr drein, die fünfundzwanzigste Straße hinab. Schon im zweiten Häuserviertel machte sie Halt, lief eine Hausstaffel hinauf, klingelte und wurde eingelassen.
Ich eilte schleunigst hinter ihr her, schaute nach der Nummer und blieb verblüfft stehen. Das war ja ein mir ganz wohlbekanntes Haus, das viele Leute betraten, wenn auch vermutlich nicht oft zu demselben Zwecke, wie Fräulein Irwin, das ich selbst manchmal besucht hatte: die Behausung eines wohlbekannten Geistlichen, Herrn Randall.
Ich wußte im Augenblick nicht, was weiter beginnen, und stand zögernd da, als, um mein Erstaunen noch zu vermehren, jemand von hinten auf mich zuschritt und mir vertraulich auf die Schulter klopfte mit den Worten:
Nun, was machen Sie denn hier?
Es war Hawkins.
Was! Sie hier? rief ich.
Gewiß! rief er zurück, und mein Mann ebenfalls.
Ein ganzes Rätsel. Glücklicherweise war Hoffnung vorhanden, es zu lösen.
Ich denke, ich gehe hinein, sagte ich. Ich kenne Herrn Randall ganz gut. Sollte eines der beiden oder beide vor mir herauskommen, so folgen Sie. Ich will nicht länger fortbleiben, als durchaus notwendig.
Er nickte und zog sich wieder in sein Versteck zurück. Ich klingelte und fragte nach Herrn Randall.
Er ist oben beschäftigt, erklärte das saubere Dienstmädchen, das auf mein Anrufen erschien. Aber wenn Sie in sein Arbeitszimmer treten wollen, wird er Sie bald empfangen können.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Wenige Augenblicke darauf faß ich wohlgeborgen in dem behaglichen rückwärtigen Empfangszimmer und horchte auf das leise Gemurmel, das aus dem vorderen Zimmer durch die schwere Flügeltüre, welche diese beiden Räume schied, hineindrang. Von diesen Stimmen konnte ich zwei unterscheiden: Herrn Randalls gewichtigen Baß und die leichteren und weicheren Laute des jungen Mannes, der mir in der dreiundsiebzigsten Straße seine Schlüssel übergeben hatte. Plötzlich verklangen die Stimmen, und manvernahm kaum einen Laut; dann ein feierliches Schweigen, darauf – es konnte wohl wiederum der Klang von Herrn Randalls Stimme sein, aber nicht in dem Gesprächston wie zuvor, sondern mit der abgemessenen Betonung, die er auf der Kanzel anzuwenden Pflegte. Immer rätselhafter, dachte ich, und unbekümmert darum, daß plötzlich jemand erscheinen könnte, schlüpfte ich an die Flügeltür hin und preßte mein Ohr an den engen Spalt. Was ich hier vernahm, steigerte nur meine Neugier auf den Siedepunkt. Auf jede Gefahr hin, aller gewöhnlichen Schicklichkeit zum Trotze – ich mußte wissen, an wen der Geistliche seine Worte richtete. So nahm ich denn meine ganze Geschicklichkeit und ein gut Teil meiner berufsmäßigen Vorsicht zu Hilfe und schob die Türflügel ein klein wenig auseinander und sah etwas, das ich sicherlich hier nicht gesucht hätte; es war übrigens ein hübsches Bild: – Herr Sutton und Fräulein Irwin vor Herrn Randall auf den Knien, während er ihren Ehebund einsegnete.
Noch eine Dame und zwei Herren standen dabei, allein ich begnügte mich mit der Wahrnehmung, daß es Frau Randall war und die Herren ebenfalls zur Familie gehörten, ohne ihnen weiter einen Gedanken zu widmen, indem meine ganze Aufmerksamkeit dem jungen Paare galt, dem ich unter einemso schnöden Verdacht hieher nachgegangen war – nur um Zeuge der wichtigsten Handlung ihres ganzen Lebens zu sein.
Die Ueberraschung und das Rührende des ganzen Vorgangs ließen mich für einen Augenblick die Diamanten und den eigentlichen Zweck meines Hierseins vergessen. Aber nachdem die Schlußworte gesprochen und die wenigen Glückwünsche dargebracht waren, und nun das junge Paar herumschaute und ich einen Blick in die Züge der Braut erhaschte, bemerkte ich mit Erstaunen den tiefen Schatten, der darauf lag; und während ich nicht umhin konnte, der so überraschenden und interessanten Gestaltung der Dinge
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