Zwischen sieben und zwölf Uhr
begann ich –
Trotzdem unterbrach er mich, sollte ein Sohn eine gewisse Rücksicht und Achtung gegenüber der Mutter an den Tag legen, die ihn geboren hat und die seiner eigenen Aussage zufolge stets Nachsicht für seine Fehler und Schwächen bewiesen hat. All dieses weiß ich, fuhr Herr Randall fort, und ich bin ganz Ihrer Ansicht, allein es waren in diesem Falle gewisse Gründe vorhanden, die seine Handlungsweise und meine Begünstigung derselben wenigstens einigermaßen entschuldbar erscheinen lassen. Lawrence Sutton war nicht immer ein achtbares Mitglied der Gesellschaft; er war ein wilder Junge, ein ausschweifender Jüngling und ein mehr als lockerer Mann gewesen. Seine Mutter liebte ihn, war aber nicht imstande ihn zu leiten, ungeachtet ihrer energischen und entschiedenen Sinnesart. Auch seines Stiefvaters Stellung und unbegrenzter Reichtum übten nicht den geringsten Einfluß auf die Beherrschung seiner Leidenschaften, denen er sich unter dem Einfluß einer zügellosen Gesellschaft mehr oder weniger hingab. Er schien ohne Ehrgeiz zu sein, und doch war er nicht unbegabt, nicht unedel oder gemein. Seine Mutter, in deren Gedankennur wenige eingeweiht sind, sah der Sache wortlos zu; sein Stiefvater, der nicht der Mann war, ihn zur Besinnung bezüglich seiner Fehler zu bringen, ließ seinem Zorn freien Lauf und drohte, ihm die Tür zu weisen, tat es aber nie. So lebte er, von der besseren Gesellschaft gemieden, dahin, und gab keinerlei Aussicht auf Besserung, bis plötzlich – es ist jetzt ein Jahr her – die größte und merkwürdigste Aenderung in seinen Gewohnheiten und seiner ganzen Lebensweise Platz griff. Aus einem rücksichtslosen Gesellen wurde ein höflicher, aufmerksamer Gentleman, der für den Ehrenplatz in der Gesellschaft, den er verloren, lebhaftes Verständnis zeigte und sich eifrig bemühte, ihn wieder zu erringen. Seine Mutter, die stets alle Hoffnung auf ihren Jungen gesetzt hatte, schrieb natürlich diese wunderbare Umkehr zu mannhaftem und ehrenhaftem Wesen ihrem eigenen stillen Einfluß und ihrem unbeugsamen Vertrauen zu; aber ich wußte es besser; ich, der seit fünfundzwanzig Jahren in den Herzen der Menschen lese wie in einem offenen Buch, wußte, daß es etwas Neueres, Idealeres war, als irgendein Einfluß, den Frau Winchester zu üben imstande gewesen wäre, was diesen jungen Mann dazu gebracht hatte, eine Lebensweise von sich zu werfen, die ihm fast zur zweiten Natur geworden war.
Häufige und ausgedehnte Besuche in Herrn Winchesters Hause genügten nicht, um mich über das Geheimnis aufzuklären. Ich fand Herrn Sutton im Kreise seiner Familie, was ich seit Jahren nicht erlebt hatte; aber wie sollte ich diesen Umstand in Verbindung bringen mit der zeitweiligen Gegenwart des stillen jungen Mädchens ohne alle besonderen Reize, welches mir Frau Winchester einst ziemlich gleichgültig als Fräulein Irwin vorgestellt hatte? Und doch war dieses Mädchen mit dem gesenkten Blicke und dem sanften, fast unterwürfigen Auftreten die Macht, welche auf dieses Mannes Gemüt gewirkt und seine Neigungen förmlich umgewandelt hatte. Für ihn war sie die Offenbarung aller idealen und wünschenswerten Eigenschaften eines weiblichen Wesens; und in dem Augenblick, da er sie zuerst erblickte, faßte er, wie er mir später erklärte, den Entschluß, sie sich zum Weibe zu gewinnen, sollte es ihn auch den völligen Verzicht auf alle seine bisherigen höchst verwerflichen Lebensgewohnheiten kosten. Daß er diese Hoffnung still im Busen hegte und seine Eltern nicht ins Vertrauen zog, ist nicht zu verwundern. Frau Winchester sieht in Philippa ein dienendes Wesen, zu unbedeutend, um der Beachtung, geschweige denn der Bewunderung oder Furcht wert zu sein. Nichts, selbstnicht die Aenderung von ihres Sohnes Lebensweise würde sie je zu der Ueberzeugung gebracht haben, daß dieses Mädchen einen Einfluß besitze oder, falls der Glaube an einen solchen sich irgendwie ihr aufdrängte, daß ihm Eigenschaften und Tugenden, welche sie zur Achtung und Anerkennung nötigten, zugrunde lägen. Selbst eine hübsche, elegante, weltlich gesinnte Frau, schätzt sie nichts, was nicht auf eben diesen Eigenschaften beruhte, und ich glaube wahrhaftig, sie würde ihren Sohn lieber wieder in sein altes Leben verfallen sehen, als daß er seine Erlösung daraus einer Quelle von so unbedeutender Erscheinung verdankte, die so ganz und gar nicht zu den Anschauungen paßt, die sie über die Aussichten ihres Sohnes und ihre eigene
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