Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
zurückbrächte, aber Fehlanzeige. Ich erkannte nichts wieder, mir war alles völlig fremd und ich fühlte mich von der Szenerie um mich herum eingeschüchtert.
»Hey, alles in Ordnung mit dir?« Besorgt schaute Phil mich an und blieb stehen. Er hatte bemerkt, dass eine Veränderung in mir vorgegangen war.
»Ja, es ist nur, dass ich gehofft hatte, mich wieder an alles erinnern zu können, wenn ich nur hier bin. Aber nichts dergleichen ist geschehen. Laut deinen Worten kenne ich mich in dieser Stadt ziemlich gut aus, aber ich erkenne nichts wieder!« Ich war dermaßen frustriert, dass ich am liebsten weinen wollte. Phil nahm mich in den Arm und drückte mich fest an sich. Ich genoss seine Nähe und kuschelte mich noch tiefer in seine Umarmung. Seine Nähe hatte etwas Beruhigendes und vermittelte mir ein Gefühl der Stärke und Sicherheit. Mit einem Mal zogen weitere Bilder vor meinem inneren Auge vorbei, düstere Bilder. Düster, nicht nur weil es Nacht war, sondern weil ich in diesem Bild einen reglosen Mann auf der Straße liegen sah. Damit nicht genug, denn es war Phil, der mit einem blutverschmierten Schwert neben dem am Boden Liegenden stand. Erschrocken holte ich tief Luft und löste mich rasch aus der Umarmung.
»Du hast einen Mann umgebracht!«, rief ich entsetzt. Er verstand sofort, was ich meinte, seine Erklärung kam nur einen Moment später.
»Klaus hatte einen seiner Kerle auf mich gehetzt und ich habe nur in Notwehr gehandelt«, verteidigte Phil sich heftig. War es wirklich so gewesen? Oder war es auch nur eine weitere Lüge? Er hatte mir in den letzten Wochen so viele Lügen erzählt, was würde eine weitere ausmachen? Wann würde ich endlich anfangen, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich geschehen waren? Ich wollte ihm glauben, aber mit einem solchen Bild vor Augen war es nicht so einfach.
»Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als dir zu glauben. Ich weiß nicht, was die Wahrheit ist und was nicht! Aber ich gehe davon aus, dass du mir, trotz deines Schwerts , nicht an den Kragen gehen willst.«
»Es ist die Wahrheit, das musst du mir glauben. Nur gut, dass du nicht gleich schreiend losgerannt bist, in diesem Labyrinth hättest du dich sofort verlaufen. Dich wiederzufinden, wäre eine Heidenarbeit geworden, wenn du nicht vorher irgendwelchen Raufbolden in die Hände gefallen wärst.« Ich verstand ihn nur allzu gut; wir waren weitergelaufen und währenddessen hatte ich versucht, mich in der fremden Umgebung zurechtzufinden. Wenn ich mich jedoch umschaute, entdeckte ich nur enge Gassen und jede sah wie die andere aus. Ein Haus reihte sich an das andere und unterschied sich nicht von seinem Nachbarn. Zwar waren die Straßen von den verschiedensten Marktkarren bevölkert, aber ob sie nun Geflügel oder Obst verkauften, nahm ich nur am Rande wahr. Die vielen Schilder, die die Geschäfte kennzeichneten, vermischten sich zu einem einzigen. Der Gedanke daran, davonzulaufen, war mir gar nicht erst gekommen, ganz im Gegenteil. Ich wollte nicht einmal mehr hierbleiben. Zu viel war auf mich eingeströmt und ich wusste nicht, wie ich es verarbeiten sollte. Ich wollte wieder in die Gegenwart, dorthin, wo ich sicher war. Die Vergangenheit ängstigte mich und schnürte mir die Luft ab.
»Ich weiß ja nicht, was du geplant hattest, aber wärst du mir furchtbar böse, wenn wir nach Hause gingen? Es ist nicht so, dass ich es hier nicht schön finde, abgesehen vom Dreck und Gestank, aber das Ganze ist zu viel für mich. Mir schwirrt der Kopf und ich weiß nicht mal mehr, wo rechts und links ist.« Hinzu kam meine Enttäuschung darüber, dass meine Erinnerungen doch nicht zurückgekehrt waren. Ich brauchte Ruhe und musste über alles nachdenken, dazu war diese quirlige Stadt der denkbar schlechteste Ort. Ein Schatten huschte über Phils Gesicht, doch er nickte verständnisvoll.
»Schade, ich hätte dir gerne mehr von der Stadt gezeigt, aber ich glaube, es ist besser, wenn ich dich zurückbringe. Du siehst ein wenig blass um die Nase aus, ich will dich nicht überanstrengen. Vor allen Dingen will ich nicht, dass du etwas vergisst!« Die Tatsache, dass ich um die Gelegenheit gebracht wurde, mir die Stadt anzusehen, bedauerte ich zutiefst. Noch vor wenigen Tagen hatte ich es mir gewünscht, aber nicht mal geahnt, dass es möglich war. Nun befand ich mich in der Vergangenheit und der Wunsch, in die Gegenwart zurückzukehren, war vielfach stärker als der Wunsch, hierzubleiben. Was war nur los mit mir? Ich hatte
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