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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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Esther gefaßt. Er kannte ihre Vorwürfe in- und auswendig wie die Priester die Klagelieder des Jeremias, daß er seine Freundschaft zu Jesus übertreibe, aus Liebe zu ihm die Liebe vernachlässige, zu der er als Gatte und Vater verpflichtet sei; daß er ihr etwas stehle, worauf sie Anspruch habe, und auseinanderreiße, was Gott verbunden habe. Und mochte er ihr tausendmal beteuern, Jesus trenne sie nicht, sondern er binde sie wieder fest aneinander, freilich auf eine neue Art — sie wollte jedoch von dieser neuen Art nichts wissen und nannte ihn einen herzlosen Phantasten.
    Als er sein Haus betrat, war sie nicht da. Er begrüßte Lea und sagte, wenn Esther ihn suche, er sei auf dem Dachboden.
    »Esther ist auf dem Wochenmarkt«, sagte Lea.
    »Und ich bin auf dem Dachboden zu finden.«
    Als Esther heimkehrte und erfuhr, daß Petrus auf dem Dachboden sei, schalt sie ihre Mutter heftig aus: »Jetzt nennst du ihn auch schon Petrus. Für mich ist und bleibt er Simon!«
    »Für mich doch auch. Schau nur gleich mal nach ihm!« sagte Lea.
    Das hätte sie sowieso getan. Simon weilte so selten zu Hause, daß man die Chance nutzen mußte. Sie kletterte die Leiter zum Dachboden empor — und brach in schallendes Gelächter aus. Simon, ihr gutmütiger Simon, hatte das Schwert des Urgroßvaters aus der Truhe mit den Familienandenken hervorgekramt und übte das Zuhauen, zerteilte die Luft in allen Richtungen und stieß mit der Spitze zum Schluß in ein altes Sofakissen.
    »Bravo!« rief sie, klatschte in die Hände und lachte.
    Simon hatte sie nicht kommen hören und zuckte zusammen. Das finde ich gar nicht lustig, wollte Simon sie anfähren, zog es jedoch vor, in ihr Gelächter einzustimmen. Wenn die ernste, verschlossene Esther ausnahmsweise lachte, mußte man die Chance nutzen.
    »Urgroßvater hat damit die Römer das Fürchten gelehrt-, sagte Esther. »Seither lebt es im Ruhestand. Du willst es anscheinend reaktivieren.«
    Er zog das Schwert aus dem Kissen heraus.
    »Komm, setzen wir uns auf die Truhe«, schlug er vor, »hier redet sich's ungestörter als in der Stube. Du willst mir bestimmt etwas sagen.«
    Esther wischte den Staub von der Truhe, ehe sie sich setzte und Simon neben ihr Platz nahm.
    Esther sagte lange Zeit nichts. Das war er gewohnt, Schweigen war schon immer ihre wirksamste Waffe gegen seine Temperamentsausbrüche gewesen. Hoffentlich quält sie mich nicht mit ihrer törichten Eifersucht, dachte Simon, sonst streiten wir uns am letzten Abend und haben womöglich keine Zeit mehr, uns wieder auszusöhnen.
    Doch Esthers Attacke blieb aus. Im Gegenteil, sie gönnte ihm wohlwollende Blicke, wie schon lange nicht mehr. Was war passiert? Hatte sie den Meister endlich persönlich gesprochen, dem sie bisher so hartnäckig ausgewichen war? Oder hatte die Begeisterung ihrer »Leidensgenossinnen« sie angesteckt? Thaddäus' Frau z. B. hatte ihrem Mann einen warmgefütterten Mantel für die kalten Jerusalemer Nächte genäht; die Frau des Zwillings hatte die Sparbüchse geplündert, um einen wetterfesten Tornister zu kaufen, und Levis lustige Alte hatte mit dem Besen vor seiner Nase gefuchtelt: Troll dich nur schleunigst nach Jerusalem! Du störst sowieso nur beim Frühjahrsputz.
    Esther sagte noch immer nichts, aber sie tat etwas: Sie nahm ihm das Schwert aus der Hand, legte es über die Knie und prüfte die Schärfe der Klinge mit dem Daumen. Simon beobachtete sie gespannt.
    »Simon, Simon, mit diesem rostigen Eisen blamierst du dich vor versammelter Mannschaft. Warte eine Weile, ich schleif es dir zurecht.«
    »Schwerterschleifen ist Männersache, Esther. Überlaß das mir!«
    »Ich überlaß dir heute dafür eine Weibersache: Joschi in den Schlaf zu singen.«
    Er umfaßte ihre Hände und sah sie dankbar an. »Endlich bist du mit allem einverstanden, Esther!«
    »Mit vielem«, schränkte sie ein, »aber niemals mit deinem neuen Namen. Erstens bleibst du für mich immer der Simon, weil ich einen Simon und nicht einen Petrus liebgewonnen habe, und zweitens läßt er mich an der Menschenkenntnis des Meisters zweifeln. Petrus bedeutet doch Fels, nicht wahr? Du und ein Fels! Wo du bestenfalls aus weichem Sandstein bestehst.« Sie klopfte ihm auf die Schulter. »Geh jetzt zu foschi!«
    Der kleine Joschi wunderte sich nicht wenig, als der Vater ans Bett trat. Freudig streckte er ihm die Arme entgegen. Simon hob ihn aus dem Bett und setzte ihn auf seine Knie. Sofort fing der Kleine an, den Vater am Bart zu zausen. Eine Unart,

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