Zwölf im Netz
mit Jesus und der ganzen Mannschaft.« Er griff nach dem Stiefelpaar, das Veronika eingewickelt und verschnürt hatte, und holte die Silberlinge aus der Börse.
»Laß dich nicht auf halten. Philipp! Die Rechnung übernimmt das römische Weltreich. Heb dir das Taschengeld fürs Osterfest auf!«
Philipp lief rot an. »Valeria, das ist doch nicht nötig.«
»Nicht nötig, daß eine Heidin einem Juden Gutes tut? Nicht nötig, aber möglich. Für alte Freunde tut Valeria alles.« Sie reichte ihm huldvoll die Hand zum Kusse, desgleichen Claudia.
Nur raus aus dem Laden, dachte Philipp, während er die Hände der beiden Damen galant faßte, sich devot verbeugte und seinen verbindlichsten Dank in Worte zu fassen versuchte. Dann drückte er Veronika einen Kuß auf die Stirn, versprach ihr, an sie zu denken, und eilte zur Tür hinaus. Das Glöckchen bimmelte. Valeria klappte den Fächer wieder zu.
Betretene Stille, bis sich Valeria an die Verkäuferin wandte: »Du kennst ihn also auch. Hoffentlich hat er dir nicht zu sehr den Kopf verdreht.«
»Weder den Kopf noch das Herz, gnädige Frau«, bekannte Veronika mit fester Stimme.
»Den Göttern sei Dank! Er enttäuscht nämlich jede, dieser charmante Luftikus. Mir zum Beispiel versprach er hoch und heilig, diesen Jesus in mein Landhaus zu lotsen,- ich wollte so gern ein Porträt von ihm malen. Seine Augen sollen eine unheimliche Ausstrahlungskraft besitzen.«
»So könnte man es nennen, gnädige Frau. Allerdings würde ich den Ausdruck »unheimlich« vermeiden. Was Jesus ausstrahlt, ist Güte.«
Valeria war überrascht. »Wie? Du kennst Jesus auch?«
»Leider nur wenig. Ach, gnädige Frau, wie gerne möchte ich...« Sie brach den Satz ab wie jemand, dem ein Einfall kommt. Aber sie getraute sich offenbar nicht, ihn auszusprechen. Valeria merkte es und ermunterte sie: »Was möchtest du, Kind?«
»Mit Ihnen nach Jerusalem reisen!« Jetzt war's heraus. »Bitte, gnädige Frau, sagen Sie nicht nein. Nehmen Sie mich mit, als Zofe, als Magd, als Küchenhilfe, als irgendwas in Ihrem Gefolge. Ich brauch keinen Lohn, kein Zimmer, kein Bett. Ich muß nur dort sein, wenn er dort ist. Ich hab es dem Meister versprochen: Wenn es ernst wird und die Männer ihn im Stich lassen — wir Frauen halten zu ihm. Bitte, sprechen Sie mit meiner Chefin! Ihnen schlägt sie bestimmt nichts ab. Bitte!«
Valeria blickte verwundert und bewundernd auf das Mädchen, das wie eine Schutzflehende auf die Knie gesunken war und den Kopf zu ihr erhob, voller Hoffnung und Erwar-tung. Sie strich ihr tröstend über den Scheitel, dann sagte sie zu Claudia auf lateinisch, damit es Veronika nicht verstand: »Das schöne Kind muß schrecklich verliebt sein. Ihr Götter, wie mich das an meine erste Liebe erinnert. Was meinst du, Claudia, soll ich ihre Bitte erfüllen?«
»Erfülle sie, Valeria«, erwiderte Claudia und setzte ihr auseinander, wie nützlich ihr gerade ein solch intelligentes und selbstbewußtes Mädchen in Jerusalem sein werde für all die vielen Besorgungen, Einladungen und Empfänge. Außerdem verfüge sie über gute Beziehungen zu Jesus von Nazareth und könne es womöglich arrangieren, daß er doch noch zu Besuch zu ihr und sie zu dem ersehnten Porträt komme.
Das gab den Ausschlag.
»Also gut, mein Kind, ich nehme dich mit — falls deine Chefin dich fortläßt. Sag ihr, ich möchte sie sprechen.«
In fünf Minuten hatte sie alles mit römischer Umsicht geregelt. Die Chefin zeigte sich glücklich, der vornehmen Dame eine Gefälligkeit erweisen zu dürfen, lobte Veronika als zuverlässig und dienstbereit und nahm die »Entschädigung« für die dreiwöchige Beurlaubung ihrer besten Verkäuferin dankend entgegen.
Überglücklich umarmte Veronika ihre »Herrin auf Zeit«. »Seltsam«, sagte Claudia, als sie zu dritt in der Kutsche heimwärts fuhren, »eigentlich wollten wir nur ein bißchen durch die Geschäfte bummeln und gar nichts kaufen. Warum betraten wir überhaupt das Schuhgeschäft?«
»Um sie zu kaufen«, antwortete Valeria lachend und deutete auf das Mädchen.
»Wie seltsam der Zufall oft mitspielt.«
»Der Zufall? Ob es nicht Jesus war, der ihr zuliebe ein kleines Wunder arrangiert hat.«
»Wie, über viele Kilometer hinweg?« fragte Claudia erstaunt.
»O ja, das vermag er. Stimmt doch, mein Kind?«
»Stimmt absolut, gnädige Frau.«
*
Nicht jeder nahm so leicht Abschied, wie Philipp es tat. Simon Petrus zum Beispiel machte sich auf eine harte Auseinandersetzung mit
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