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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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selbst entwurzelt, sie kannte nichts von der Welt und war mittellos. Dennoch schenkte sie Wigo einen Augenblick der Klarheit. Sie vertrieb den Nebel und gab ihm den Blick auf eine Zukunft ohne Furcht frei: Er sah, dass Estrids Schönheit nicht nur ein stolzes Gesicht und ein ebenmäßiger Wuchs war. Sondern eine Unerschrockenheit und ein ernsthafter, unbeugsamer Wille zur Gerechtigkeit. Für sie selbst, für ihre Kinder und für ihr Volk. Wigo sah eine Königin.
     
    Ob auch Belendra wahrgenommen hatte, wen sie vor sich hatte und wie gut ihr Wahnsinnsplan aufzugehen versprach, war schwer einzuschätzen. Sie stand ganz unter dem Einfluss der Droge. Und sie war hingerissen von dem kleinen Jungen. Noch bevor Wigo etwas tun oder sagen konnte, hatte sich Belendra auf das Kind gestürzt, es hochgehoben und an ihre ungeheure Brust gedrückt. Estrid machte einen Schritt. Der Junge gluckste fröhlich und griff in Belendras Haare. Dann fand er zwischen den dunklen Strähnen einen langen goldenen Ohrring und zog daran. Belendra lachte. Mit einer so tiefen, ehrlichen Freude, dass Estrid die Hand, die schon ausgestreckt war, um das Kind der Fremden zu entreißen, wieder sinken ließ. Ein Lächeln flog über ihr Gesicht.
    Belendra gab das Kind zurück an die Mutter.
    »Ein reizender Junge, wie heißt er denn?«
    Wigo fragte.
    »Strem.«
    Estrid strich dem Kind über den runden Kopf. Mit dem Gespür einer Armen hatte sie begriffen, dass sie etwas besaß, das sehr kostbar war. Auch Belendra bemerkte nun, dass sie sich verraten hatte. Sie zupfte an den weiten Ärmeln ihres seidigen Umhangs und wandte sich dem Mädchen zu.
    »Und du?«
    Das bedurfte keiner Übersetzung.
    »Ristra«, sagte die Kleine und legte eine Hand auf den Griff des kurzen Schwerts, das sie am Gürtel trug. Ganz der Vater, dachte Wigo.
    »Oh, ein schönes Schwert hast du da. Beschützt du damit deinen kleinen Bruder und deine Mutter?«
    Wigo übersetzte, das Mädchen runzelte die Stirn, darauf war sie anscheinend noch nicht gekommen. Dann aber nickte sie und sprach mit kindlichem Ernst: »Ich kann schon sehr gut damit umgehen und es ist auch ein sehr gutes Schwert. Mein Großvater hat es gemacht, der ist Schmied, und er ist der beste Schmied von allen.«
    Unter dem kritischen Blick Ristras übersetzte Wigo. Belendra hob anerkennend eine Augenbraue.
    »Dein Großvater muss außerdem ein sehr weiser Mann sein, dass er dir ein so besonders gutes Schwert gemacht hat. Eine Familie muss zusammenhalten. Eine Familie muss beschützt werden.«
    Sie sah nicht zu Estrid. Sie hatte sich nun im Griff.
    »Nanu, was ist das denn?« Belendra zupfte wieder an ihrem Ärmel. Zog daran. Schaute hinein. Machte
Oh
und
Ach
und schüttelte in gespielter Überraschung den Kopf.
    »So was   … wer hat sich denn da versteckt?«
    Sie holte ein leise fiependes Etwas hervor und setzte es sich auf die Hand, wo es sich als kleines, flauschig-graues Pelztier entpuppte. Es hatte schwarze, bewegliche Pinselöhrchen und leuchtend orangefarbene kreisrunde Augen, mit denen es erstaunt in die Runde blickte. Das Pelzknäuel gähnte herzhaft und zeigte winzig kleine, spitze Zähnchen und eine rosige Zunge. Es schloss kurz die Laternenaugen und strich sich mit den Pfötchen die silbrigen Schnurrhaare glatt. Belendra hielt es dem Mädchen hin. Das Tier sah Ristra an, schnüffelte kurz und fasste den Entschluss, die Hand zu wechseln und den dünnen Kinderarm hochzuklettern.
    Belendra lächelte und erklärte: »Das ist ein Dayak, sein Name ist Tarsi   – magst du ihn haben? Belendra schenkt ihn dir.«
    Das Mädchen kicherte zur Antwort und zog gekitzelt die Schultern hoch, während der kleine Dayak ihr in den Nacken krabbelte und Schutz unter den weichen Kinderlocken suchte. Ristra schaute auf zu ihrer Mutter und das Flehen in ihrem Blick sagte Wigo, dass Belendra einen entscheidenden Schritt weitergekommen war.
    »Was wollt Ihr?«
    Estrid fragte neutral, sie erlaubte nicht einmal ihrer Stimme, Gefühle zu verraten. Aber ihr Blick wanderte über Belendra und schätzte sie ab in einer Geschwindigkeit, in der nur Frauen einander abschätzen können.
    »Euch«, sagte Belendra in einer Offenheit, die Wigo Respekt abnötigte. Er folgte ihren Worten: »Ich will Euch nicht belügen. Ich gebe zu, ich hatte es vor. Aber ich sehe, dass es keinen Zweck hätte. Ich wollte Euch eine Stellung anbieten. Nun, die könnt Ihr haben, in meinem Haus gibt es genug zu tun. Aber ich sage Euch, was ich wirklich suche: Ich suche

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