Zwölf Wasser Zu den Anfängen
haben, das man für kein Geld der Welt kaufen konnte: eine Familie. Nicht Marken oder Kersted waren eingeladen worden, sondern er – weil Belendra von Estrid und den Kindern wusste. Felt hatte etwas, das diese Frau so sehr vermisste, dass sie den Ersatz dafür an eine Kette legte. Und weil Felt eine Familie hatte, war er erpressbar. Belendra hatte ihn in der Hand, auch wenn sie bisher nur bat und nicht drohte. Felt spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Wie sollte er sich verhalten? Würde sie sich einfach nehmen, was sie haben wollte? Felt entschied sich, das Gegenteil von dem zu tun, was Kandor getan hatte: Er würde geben.
»Belendra«, sagte er und sie kam wieder zu sich. »Ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr Eure Hand über meine Kinder halten würdet, solange ich weg bin. Ich bin bereits jetzt mehr tot als lebendig, weil ich mich von meiner Familie trennen musste. Aber wenn ihnen während meiner Abwesenheit etwas zustößt, werde ich weder im Leben noch im Tod jemals Ruhe finden können.«
Wigo hatte diese kleine Ansprache mit hochgezogenen Augenbrauen übersetzt – aber Belendra hing an Felts Lippen. Sie lächelte, Tränen standen in ihren Augen. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Seid unbesorgt«, sagte sie und ihre Stimme wurde noch dunkler, »es wird ihnen gut gehen. Ich kümmere mich persönlich darum, dass sie unvorstellbares Glück haben werden in Pram.«
Felt verbeugte sich tief. Sein Herz schlug immer noch heftig.
»Ihr hebt eine Last von meinen Schultern. Nehmt als Dank mein Versprechen: Ich werde zurückkommen. Kandor wird untergehen.«
Belendra packte zur Antwort das Kästchen und drückte es Felt gegen die Brust. Sie weinte jetzt tatsächlich, fasste sich aber wieder und klatschte zweimal in die Hände. Die Tür wurde geöffnet und ein Knabe forderte die Besucher mit einer Geste auf, ihm zu folgen. Belendra hatte sich abgewandt und so verließen sie ohne einen Abschied das Bücherzimmer und ihr Haus.
Sie folgten wieder dem Kiesweg durch den Garten, und bevor sie auf die Gasse traten, befreite Felt Wigo von seinen Fesseln. Dann gingen sie schweigend durch die Straßen, jeder in Gedanken noch bei der Begegnung mit der Frau des Waffenhändlers. Als sie auf den Platz vor dem Palast einbogen, wo laut gefeiert wurde, fasste Wigo Felt am Arm.
»Warte mal«, sagte er, »woher wusstest du, dass sie Kinder hat?«
»Ich wusste es nicht«, sagte Felt, »aber ich habe es geahnt. Ich habe mich an das erinnert, was mein Schwiegervater mir auf meiner Hochzeit gesagt hat: Betrüge deine Frau und du erschaffst einen Dämon, der dir den Tag vergiftet und die Nacht vereist. Nimm einer Mutter die Kinder und du erschaffst einen Dämon, der dein Leben vernichtet und deinen Tod verlängert.«
»Hm«, machte Wigo, »kein schlechter Hochzeitsspruch.«
»Ich lag richtig, oder?«
»Na und ob! Felt! Was für eine Rede. Belendra hast du für immer auf deiner Seite, so viel ist klar. Du musst wissen: Belendra ist nicht ungefährlich, aber nicht von Grund auf böse. Dieses Schwein Kandor hat sich an ihrer Seite rund gefressen, und als sie seine kleinen Geliebten nicht länger ertragen konnte, hat sie ihn rausgeworfen. Zu spät, er war längst zu groß geworden, zu mächtig und einflussreich. Der Eklat hat ihm nicht geschadet. Im Gegenteil, er hat Belendra in Verruf gebracht. Kandor hat überall verbreitet, sie sei wahnsinnig geworden. Nun ja, sie war immer schon ziemlich kapriziös. Aber wirklich irr ist sie erst geworden, als er ihr die Söhne weggenommen hat. Die Knaben, mit denen sie sich jetzt umgibt, hat sie von der Straße aufgesammelt. Es geht ihnen besser als vorher, glaub mir.«
»Das fällt mir nicht leicht. Aber es geht mich auch nichts an. Belendra sagt, mein Volk kümmere sie nicht.« Er trat nah an Wigo heran, sodass der zu ihm aufsehen musste. »Ich sage: Belendras Schicksal kümmert mich nicht.«
Nur ein kurzes Flackern in Wigos wachen Augen verriet sein Unwohlsein; er war die Anwesenheit von Stärke, von Macht, gewohnt und behielt sein Lächeln im Gesicht. Felt wusste, dass er sich genau so verhielt, wie man es von einem Welsenerwartete. Doch das scherte ihn nicht. Er verschwieg, dass ihn Belendras Schicksal sehr wohl kümmerte, denn er hatte sein eigenes in ihr gespiegelt gesehen. Er hatte eine Frau gesehen, die daran verzweifelte, dass ihre Familie auseinandergerissen worden war. Die ihre Kinder vermisste. Die daran zerbrach und nur noch von Hass notdürftig
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