Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
Vom Netzwerk:
zusammengehalten wurde. Hinter dem Reichtum, der Sucht und dem Spiel hatte Felt den Schmerz gesehen   – und seine Chance. Indem er Belendra das gab, wonach sie sich am meisten sehnte, nämlich eine Familie, die sie beschützen konnte, gab er sich selbst eine Hoffnung. Man hatte ihm beigebracht, dass man sich seine Verbündeten in den seltensten Fällen aussuchen konnte und dass jedes Bündnis das Risiko barg, betrogen zu werden. Aber so wahnsinnig Belendra auch sein mochte, ihr Antrieb war klar: Rache. Das konnte Felt verstehen, das konnte er einschätzen. Und er versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, dass er keine Wahl gehabt und dennoch das Beste aus der Situation gemacht hatte.
    »Ich sollte jetzt zu Bett gehen«, sagte er.
    »Und ich sollte noch ein wenig arbeiten.«
    »Arbeiten? Um diese Zeit?«
    »Schreiben! Jemand muss die Geschichte dieser Stadt festhalten. Das tun viele. Aber
ich
werde gut dafür bezahlt und was
ich
schreibe, das
wird
Geschichte. Ganz offiziell. Möchtest du mit einem bestimmten Satz erwähnt werden? Dann hast du jetzt die Gelegenheit, ihn zu sagen.«
    Felt schaute Wigo stumm an. Der lachte laut auf.
    »Das ist sehr welsisch! Das ist gut, wirklich gut.« Wigo ließ seinen Blick über den Platz wandern, auf dem der große Holzstapel hell brannte und ausgelassen gefeiert wurde. »Ein denkwürdiger Tag. Mehr als hundert Soldern hat es gedauert, bis Welsien endlich doch nach Pram gekommen ist. Nun stehtes hier, vor mir, mitten im Herzen meiner Stadt. Nun passiert etwas. Etwas Großes   …«
    Wigos unsteter Blick war starr geworden, er schaute in das Feuer auf dem Platz.
    »Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, heißt es. Eine oft gebrauchte, aber reichlich krude Formulierung   – wenn man sie nur so nachplappert, noch dazu verfälscht. Denn eigentlich heißt es
zukünftige
Ereignisse   …
Zukünftige Ereignisse werfen ihre Schatten voraus.
Und das, Felt, das hat Sinn. Stell es dir vor: Die Zukunft, unbekannt und unerkennbar im Gegenlicht der Zeit, sie kommt auf dich zu, unaufhaltsam. Was dich als Allererstes trifft, ist ihr Schatten. Die dunkle Ahnung. Dann, wenn der Schatten dichter wird, größer, wenn es vollkommen finster wird   – dann ist die Zukunft bei dir angelangt und durch das Tor der Gegenwart tritt das Ereignis ein   …«
    Er wandte sich Felt zu, die Augen fiebrig glänzend. Dann huschte ein verlegenes Lächeln über sein Gesicht und Wigo wischte mit der Hand durch die Luft, als wollte er die Düsternis vertreiben, die er selbst herbeigeredet hatte. Er legte die Faust auf Welsenart ans Herz.
    »Es tut mir aufrichtig leid, Felt, dass dein Volk so furchtbar hat leiden müssen. Aber in Zukunft wird sich vieles ändern   – vielleicht ist die Zeit des einsamen Leids für die Welsen vorüber. Vielleicht bricht stattdessen für uns alle eine neue Zeit des Leidens an.«
    Wigo hatte leichthin, beinahe scherzhaft gesprochen. Dennoch hatte er mit seinem letzten Satz Felts Gedanken so plötzlich von seiner Familie losgerissen und auf die Quellen gelenkt, dass Felt der Atem stockte. Wie hatte er die Bedrohung vergessen können, die über dem Kontinent lag? Wie hatte er sich so ablenken lassen können?
    Der Übersetzer sah ihn aufmerksam an und Felt war bewusst,dass Wigo den Schreck bemerkt hatte. Mehr noch   – er hatte ihn provoziert. Mit einem Mal erschien ihm Wigos Lächeln bitter, und seine Hand am Herzen war kein Gruß, sondern eine Geste des Schmerzes. Wigo wusste viel, nicht nur über die Vergangenheit   – und er sah der Zukunft mit Sorge entgegen.

 
    FÜNFTES KAPITEL
MORGENDÄMMERUNG
     
    Die Begegnung mit Felt hatte sie ein Stück weit aus ihrer Depression geholt, den Rest hatte der Weißglanz besorgt. Belendra strahlte. Sie trug ihr Haar offen, was ihr eine anziehende Mädchenhaftigkeit verlieh, und bewegte sich mit der ihr eigenen Langsamkeit. Jeder Schritt, jede Wendung des Kopfes, jedes Lächeln war ein Genuss   – der Genuss, Belendra zu sein. Sie sendete Selbstsicherheit aus und versprach eine Fülle, wie nur das Leben selbst sie bieten konnte. Ihre Gegenwart machte die Welt heller und wärmer.
    Wäre Wigo nicht so müde gewesen, er wäre möglicherweise selbst Belendras Zauber erlegen. Aber er hatte keinen Augenblick geschlafen und er kannte sie zu lange und zu gut, um nicht die Berechnung zu vergessen, mit der sie diesen Auftritt in der Lagerstadt durchzog. Er hatte sich kaum an seinen Schreibtisch gesetzt, als sie ihn hatte abholen

Weitere Kostenlose Bücher