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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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Beine an. Er würde sie sich brechen, wenn er fiel. Und er würde fallen, bald. Er hoffte, aber für ihn gab es keinen Steigbügel in der Luft.
    Sondern ein Seil. Felt schlang es ums Handgelenk, fasste zu, ließ sich ziehen, dachte: »Zweiter.«

 
    DRITTES KAPITEL
DER WIND HAT EIN GESICHT
     
    Felt lag auf dem Rücken. »Du bist stärker, als ich dachte.« Er hustete.
    Babu löste das Seil von seiner Taille. »Nicht viel anders, als ein Kalb aus einer Kuh zu ziehen.«
    Felt lachte kurz und setzte sich auf. Er sah in das Gesicht des jungen Mannes, das im Mondlicht schweißnass glänzte. Vielleicht konnten sie keine Freunde werden. Aber doch Kameraden?
    »Verdammt, ich habe Durst.«
    »Ich auch«, sagte Babu, »und Hunger.«
    Hier war nur Stein. Sie zogen sich schweigend an. Sie taten etwas Normales und waren dabei so angespannt, als ginge es in eine Schlacht. Felt gürtete Anda auf rechts, das Schwert saß unbequem auf der Hüfte, der Gurt war andersherum gefertigt worden und Felt war es so schlicht nicht gewohnt. Er würde sich gewöhnen müssen, er spürte weder Mittel- noch Ringfinger unter den Bandagen und wusste, dass das kein gutes Zeichen war.
    Ein leichter Wind kam auf, beide hielten inne. Aber das war nicht die unsichtbare Präsenz, die sie umweht hatte. Die Reva entführt hatte.
    »Das ist nur Wind«, sagte Felt.
    Babu öffnete den Mund, überlegte es sich anders. Felt nickte knapp. Auch er hatte das Gefühl, nicht nur beobachtet, sondern auch belauscht zu werden. Mehr noch: Sie wurden belauert.
    Oberhalb der Steinwelle, die sie überwunden hatten, erstreckte sich ein weitläufiger Platz. Der Wind hatte auch hier den Stein geformt, der Boden war gemasert wie Holz. Vereinzelt durchbrachen gigantische Steinnadeln die ebene Fläche wie aufgestellte Stacheln. Wiatraïn wollte seine Besucher wohl mit steinernen Monstrositäten beeindrucken und verunsichern   – nach dem alten Prinzip, dem auch weniger irrsinnige Baumeister folgten: Verzerrung der Dimensionen. Während Felt mit Babu schweigend an schlanken, Schatten werfenden Steinstacheln vorbeischritt, wehrte er sich gegen das Gefühl, auf die Größe eines Flohs geschrumpft zu sein. Das war nicht leicht, denn die Stadt war riesig und nichts folgte der Logik. Eine steile, sandbedeckte Rampe endete unter dem breiten Pfeiler einer Brücke, an deren einem Ende zehn Mann nebeneinander gehen konnten und an deren anderem Ende nur noch Platz war für eine Maus. Gewundene Treppen schraubten sich mit unterschiedlich hohen Stufen ins Nichts. Keiner der Türme, die Felt aus der Ferne gesehen hatte, hatte einen Zugang in Bodennähe. Aber alle hatten Aussichtsplattformen. Trotz des Mangels an Planung, an erkennbarer Ordnung, an gesundem Menschenverstand war die Stadt nicht das Ergebnis zufällig wirkender Naturgewalten. Felts erster Eindruck hatte ihn nicht getäuscht: Der Wind hatte Wiatraïn gebaut. Aber irgendjemand hatte ihm gesagt, wie.
    Dieser Jemand hielt sich verborgen. Kein Lebewesen begegnete den durch die nächtliche Stadt irrenden Männern, nicht einmal eine Ratte oder ein Käfer. Kein Licht brannte, nur der überhelle Mond beleuchtete die Wölbungen, Schwünge, Rundungenund Bögen aus Stein. Der Wind war ihr einziger Begleiter. Er summte um glatte, eng beieinander stehende Säulen, pfiff durch faustgroße Löcher oder stöhnte im Dunkel hinter hohen Portalen, durch die sie nicht zu gehen wagten. Es war vor allem Babu, der zögerte, Innenräume zu betreten. Sein Blick wanderte immer nach oben. Felt ahnte, dass er sich den Falken an den schwarzen, sternenübersäten Himmel wünschte. Er selbst wurde angetrieben von der Sehnsucht nach Reva. Er ignorierte seinen Durst und den üblen Geschmack, den das Blut in seinem Mund hinterlassen hatte. Er wollte nur die Unda finden und suchte in sich nach einem Hinweis, nach der seltsamen Intuition, die ihn damals im Sumpf zu ihr geführt hatte.
    »Reva, wo bist du?«, fragte er leise.
    »Nicht so sehr weit«, flüsterte es in seinem Rücken.
    Felt duckte sich, fuhr mit der Hand über den Boden, griff sich Sand, drehte sich, schleuderte.
    Im Mondlicht blähte sich eine staubige Wolke, die der Wind sofort zu zerfasern versuchte. Aber es gelang ihm nicht ganz. In Felts Augenhöhe formte sich Revas Gesicht. Um sich sogleich in sein eigenes zu verwandeln, das ihn mit offenem Mund und glanzlosen, toten Augen anstarrte. Sein Staubmund öffnete sich weiter, verzerrte sein Gesicht zu einer gähnenden Fratze, die sich verwirbelte

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