Zwölf Wasser Zu den Anfängen
die Sonne nicht.«
Ristra überlegte einen Moment, dann lief sie geradewegs zu den Hohen Frauen. Was hatte sie denn jetzt vor?
Die Undae beachteten sie nicht, sie gingen langsam in einem Wasserlauf bergan, eine hinter der anderen. Ristra ging ihnen hinterher, ebenso langsam und mit einem gewissen Abstand, offensichtlich hatte sie der Mut verlassen, sie anzusprechen. Jetzt fielen die Frauen in einen Gleichschritt und Ristra tat es ihnen nach. Sie hatte gerade in den Rhythmus gefunden, da begannen die Undae, mit den Armen zu schlenkern, Ristra imitierte die Bewegung und Felt sah, wie dazu auch ihre Schultern zuckten, offensichtlich kicherte sie. Das Spiel ging noch eineganze Weile so weiter: Ristra machte sich einen Spaß daraus, die drei vor ihr Gehenden nachzuahmen. Was Felt zunehmend unangenehm wurde, denn es war klar, dass die Undae mit Ristra ihr Spiel trieben und nicht umgekehrt. Als er gerade einschreiten wollte, blieben die drei stehen. Das Mädchen prallte gegen die letzte Frau, die sich rasch zu ihr umdrehte.
Felt sah, wie Ristra erstarrte, den Kopf im Nacken, den Mund offen. Er sah eine blasse Hand unter einem weiten Ärmel auftauchen und auf die Kräuter deuten. Das Kind gab sie der Frau, langsam, wie im Schlaf, aber ohne Zögern. Die Unda bückte sich und schöpfte mit einer Hand etwas Wasser aus dem Wiesenbach und ließ es kreisen – ohne dass ihr ein Tropfen aus den Fingern rann. Dann, flink, drehte sie die Hand, spreizte die schmalen Finger und Felt sah, wie ein feiner Sprühnebel die Kräuter netzte. Sie gab den kleinen Strauß an Ristra zurück.
Offenbar sagte sie dazu etwas, denn Ristra nickte und antwortete. Ihre Locken hüpften und Felt hörte die Stimme seiner Tochter, aber er war zu weit weg, um zu verstehen, worüber die beiden sprachen. Mit einer leichten Geste fuhr die Frau dem Mädchen über die Stirn. Ristra zuckte zusammen und Felt hatte das Gefühl, als glitte etwas Kaltes durch seinen Körper, schnell, zu schnell, um es zu fassen. Er konnte nur stehen und schauen. Die Unda drehte sich um und folgte den anderen, die während der kleinen Szene unbeirrt weiter den Bach bergauf gewandert waren.
Jetzt kam auch in Felt wieder Bewegung, er lief zu seiner Tochter. Um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Und um sie zurechtzuweisen. Er hielt es nicht für angebracht, die Undae zu stören – bei was auch immer.
»Sie hat mir ihren Namen verraten«, rief Ristra, noch bevor Felt etwas sagen konnte. »Willst du wissen, wie sie heißt?«
»Ja, wie heißt sie denn?«
Sie hatte einen roten Fleck auf der Stirn, der zusehends verblasste.
»Sag ich nicht!« Ristra lachte und sprang schon wieder davon, das Kräutersträußchen hoch erhoben. Felt blieb nichts anderes übrig, als die Sorge zu vergessen, den Tadel auf später zu verschieben und seiner Tochter hinterherzugehen.
Estrid lächelte ihn an, aber auf eine abwesende Art, so, wie man dem Nachbarn zulächelt, wenn man ihn vom Fenster aus vorbeigehen sieht.
»Ristra hat eine Unda gesprochen und sie hat –« Felt unterbrach sich, die Unverbindlichkeit in Estrids Gesicht war nicht zu ertragen. »Estrid, ich kann mich nicht im Streit von dir trennen. Hilf mir.«
»Ich kann nicht, meine Kraft reicht nur für mich allein. Aber, Felt, wir streiten nicht. Das hier hört sich nicht wie ein Streit an, oder?«
Sie lächelte wieder, diesmal direkt, so wie früher.
»Ich brauche eine Vorstellung davon, wo ihr seid, was ihr tut, während ich unterwegs bin. Es sind auch meine Kinder.«
»Um die ich mich kümmern werde.« Estrid wandte sich ab. »Du hast dich entschieden.«
»Estrid.« Er wollte ihre Schulter berühren, ließ die Hand aber sinken. »Sei nicht ungerecht.«
»Vielleicht bin ich nicht gerecht. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur ich. Und ich bin es leid zu betteln. Warte nur ab, bis du in Pram bist und vor den feinen Herren stehst und dir die Verachtung ins Gesicht bläst. Vielleicht verstehst du mich dann besser.«
»Ich verstehe nicht, was das mit uns zu tun hat.«
Sie drehte sich wieder zu ihm um. »Felt, mach es uns nicht schwerer, als es ist, lass es gut sein.«
»Das kann ich nicht und das werde ich nicht!«
»Ich habe dazu nichts mehr zu sagen.«
»Also gut, wenn du es so willst, dann sei es so: Ich werde dich nicht weiter fragen, aber ich werde dich auch nicht verlassen. Jeden Morgen werde ich mit dir sprechen und jeden Abend werde ich an dich denken und du wirst meine Stimme hören. Ich werde nicht still
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