Zyklus der Erdenkinder 05 - Ayla und der Stein des Feuers
Überraschung als die feine und meisterhafte Ritzzeichnung eines Pferdes.
Sie setzte den Becher ab und ließ den Blick über den niedri gen Tisch gleiten. Er bestand aus einer dünnen Kalksteinplatte, die auf einem Rahmen aus Bugholz mit Beinen auflag. Alles wurde von Lederriemen zusammengehalten. Auf der Platte lag eine Matte aus dünnen Fasern, in die in verschiedenen erdigen Rotschattierungen komplizierte Muster mit Tierdarstellungen und abstrakten Linien und Formen gewebt waren. Um den Tisch herum waren Polster aus verschiedenen Materialien an geordnet. Die Kissen aus Leder hatten einen ähnlichen Rotton wie die Matte.
Auf dem Tisch standen zwei Steinlampen. Die eine war eine flache, kunstvoll gemeißelte Schale mit einem verzierten Griff. Das gröber gearbeitete Pendant dazu hatte in der Mitte eine Vertiefung, die aus einem Kalksteinblock herausgehauen wor den war. Beide Lampen enthielten Talg - Tierfett, das man in kochendem Wasser ausgelassen hatte - und Dochte. Die gröber gearbeitete Lampe hatte zwei Dochte, die andere drei. Alle fünf Flammen brannten gleichgroß. Ayla vermutete, dass die be helfsmäßige Lampe erst vor kurzem in aller Eile angefertigt worden war, damit sich der dämmrige Wohnplatz im rückwär tigen Teil der Nische besser beleuchten ließ, und nur als Über gangslösung gedacht war.
Der Innenraum, durch bewegliche Trennwände in vier Berei che aufgeteilt, machte einen wohlgeordneten und nicht überla denen Eindruck und wurde von einigen weiteren Steinlampen erhellt. Auch die Trennwände, von denen die meisten bemalt oder auf andere Weise verziert waren, bestanden aus Holzrah men, die weitgehend mit ungegerbten, steifen Lederbahnen, zum Teil aber auch mit durchscheinenden Häuten bespannt waren. Bei diesen, so dachte Ayla, handelte es sich wahrscheinlich um Därme von großen Tieren, die aufgeschnitten, ausgebreitet und getrocknet worden waren.
Am linken Rand der hinteren Felswand, nahe bei einem der Wandschirme, sah sie eine besonders prächtige Trennwand, die offenbar aus Schattenhaut gemacht war, dem pergamentartigen Material, das sich in großen Stücken von der Innenseite von Tierhäuten ablösen ließ, wenn man diese trocknete, ohne sie zuvor zu schaben. Auf die Trennwand waren in Schwarz sowie in Gelb- und Rottönen ein Pferd und einige rätselhafte Muster aus Linien, Punkten und Rechtecken gezeichnet. Ayla fiel ein, dass der Mamut des Löwenlagers bei Zeremonien einen ähnli chen Wandschirm benutzt hatte, auf den die Tiere und Muster aber ausschließlich mit schwarzer Farbe gemalt waren. Der aus der Schattenhaut eines weißen Mammuts gefertigte Wand schirm hatte seinen heiligsten Besitz dargestellt.
Auf dem Boden vor der Trennwand lag ein graues Fellstück, in dem Ayla das dicke Winterkleid eines Pferdes erkannte. Der Widerschein eines kleinen Feuers, der aus einer Einbuchtung in der Wand dahinter zu dringen schien, erhellte die Trennwand mit dem Pferdebild und ließ die Ornamente darauf gut zur Gel tung kommen.
Rechts von dem Wandschirm waren in verschiedenen Ab ständen übereinander entlang der Felswand Regale aus Kalk steinplatten angeordnet, die dünner waren als die Steine auf dem Boden. Bei den meisten der mannigfachen Gerätschaften und Gegenstände, die die Regale beherbergten, konnte sich Ayla denken, wozu sie dienten. Manche waren so kunstvoll geschnitzt, gemeißelt oder bemalt, dass sie auch das Auge er freuten.
Rechts von den Regalen stand eine lederne Trennwand quer zur Steinwand und bildete eine Ecke, hinter der ein anderer Bereich begann. Die Trennschirme deuteten die Grenzen zwi schen den verschiedenen Bereichen nur an, und durch eine Lü cke hindurch konnte Ayla eine erhöhte Plattform sehen, auf der weiche Pelze aufeinander getürmt waren. Das war ein Schlaf platz, dachte sie. Ein weiterer Schlafplatz war durch Wand schirme von dem Bereich, in dem sie nun saßen, und von dem ersten Schlafplatz abgetrennt.
Der Eingang mit dem Vorhang war Teil des Wandschirms aus Holz und Lederbahnen, der gegenüber der Felswand stand. Gegenüber den Schlafplätzen gab es einen vierten Bereich, in dem Marthona das Essen zubereitete. Entlang der Eingangs wand nahe dem Kochbereich waren auf frei stehenden hölzer nen Regalen Körbe und Schalen sorgsam angeordnet, die mit geschnitzten, gewebten oder gemalten geometrischen Mustern und realistischen Tierdarstellungen verziert waren. Auf dem Boden standen größere Behälter, von denen einige einen De ckel hatten, während bei den anderen
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