Zyklus der Erdenkinder 05 - Ayla und der Stein des Feuers
geschickt ineinander gepasst, dass sich eine eng verzahnte, kompakte Struktur ergab.
Die nahezu rautenförmigen Steine wurden nach ihrer Größe ausgewählt und sortiert und dann längs nebeneinander ange ordnet, so dass die Wanddicke der Länge der Steine entsprach. Die Mauern waren so geschichtet, dass jeder Stein über dem Spalt zu liegen kam, in dem die zwei Steine darunter aneinan der stießen. Manchmal wurden Lücken mit kleineren Steinen ausgefüllt, insbesondere um die größeren Blöcke am Eingang herum.
Jede Schicht wurde so gesetzt, dass sie über die darunter lie gende ein wenig hinausragte. Durch sorgfältige Auswahl und Platzierung wurde erreicht, dass sämtliche Unregelmäßigkeiten der Steinoberflächen dazu beitrugen, Feuchtigkeit an der Au ßenseite ablaufen zu lassen, sei es nun Regenwasser, das der Wind hereintrieb, Kondenswasser oder geschmolzenes Eis.
Es wurde kein Mörtel oder Lehm benötigt, um Löcher zu stopfen oder das Ganze zu stabilisieren. Der raue Kalkstein bot genügend Reibungsfläche, damit nichts ins Rutschen geriet. Die Mauern blieben durch ihr eigenes Gewicht an Ort und Stel le und konnten sogar den Druck von Wacholder- oder Kiefern balken aufnehmen, die andere Teile der Konstruktion oder Simse stützten. Die Steine waren so geschickt aneinander ge fügt, dass kein Lichtstrahl durch die Mauern drang und eisige Windböen im Winter keinen Durchlass fanden. Außerdem wa ren die Mauern, vor allem von außen, schön anzusehen.
Drinnen war die Windschutzmauer fast ganz von einem Wandschirm verborgen, der aus Bahnen von ungegerbtem und durch Trocknen steif gewordenem Leder bestand und an im Erdboden verankerten Holzpfosten befestigt war. Die Leder bahnen setzten am Boden an, reichten aber oben über die Steinwände hinaus, bis zu einer Höhe von fast drei Meter. Ayla hatte gesehen, dass die oberen Abschnitte der Bahnen auf der Außenseite prächtig verziert waren. Auch auf der Innenseite waren viele mit Tieren und rätselhaften Zeichen bemalt, doch die Farben wirkten hier weniger leuchtend, weil weniger Licht darauf fiel. Marthonas Wohnplatz war in den leicht ansteigen den hinteren Teil der großen Nische gebaut, so dass die Rück wand der Behausung aus massivem Fels bestand.
Ayla blickte nach oben. Der Wohnplatz selbst hatte keine Decke. Außer bei gelegentlichem Fallwind stieg der Rauch der Feuerstellen an den Wandschirmen hoch und trieb unter der hohen Felsendecke entlang nach draußen, so dass die Luft eini germaßen frisch blieb. Die Nische schützte vor den Unbilden des Wetters, und wenn man warm angezogen war, konnten die Wohnplätze selbst bei kalter Witterung recht behaglich sein. Sie waren um einiges größer als die vollkommen abgeschlos senen, leicht zu heizenden und mollig warmen, aber auch oft verräucherten Behausungen, die sie bislang kennen gelernt hatte.
Die Wandschirme aus Holz und Leder boten Schutz vor dem Wind und dem Regen, den er manchmal hereintrieb, aber ihr Hauptzweck war, einen Raum abzugrenzen, der eine gewisse Privatheit bot und wenn nicht die Ohren, so doch die Blicke anderer abhielt. Im oberen Teil ließen sich die Schirme an manchen Stellen aufklappen, so dass Licht einfiel und man sich, wenn man das wollte, durch die entstehende Fensteröff nung hindurch mit den Nachbarn unterhalten konnte. Wenn diese Fenster aber geschlossen waren, galt es als schicklich, dass ein Besucher an der Tür um Einlass bat und nicht einfach von draußen hereinrief oder ungebeten eintrat.
Am Boden hatte Ayla zusammengefügte Steine bemerkt, die sie nun genauer betrachtete. Der Kalkstein der riesigen Fels formationen in dieser Gegend ließ sich oft entlang den vorge gebenen Linien seiner Kristallstruktur in große und ziemlich flache Stücke brechen. Der Boden des Wohnplatzes war mit solchen unregelmäßigen Bruchstücken ausgelegt. Darauf lagen Matten, die aus Gras und Schilf gewoben waren, sowie weiche Tierfelle.
Als Ayla an dem Wein nippte, sah sie sich den Becher in ih rer Hand etwas genauer an. Er bestand aus dem hohlen Ab schnitt eines Wisenthorns, das wahrscheinlich nicht allzu weit von der Spitze abgesägt worden war, da es über einen recht geringen Durchmesser verfügte. Sie hob den Becher hoch, um ihn sich von unten anzusehen. Der Boden bestand aus einem Holzstück, das in der Form dem engeren Ende des leicht elliptischen Hohlraumes angepasst und fest hineingeklemmt war. Die Kratzer an der Seite des Bechers entpuppten sich, als sie sie genauer betrachtete, zu ihrer
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