hohlem Zynismus. Sie ließen ihren dritten Satz ein Nichts begrenzender, grauer Steine zurück. Bald waren sie über den Kamm und blickten in das Tal hinab. Die Aussicht, die sich ihren Augen bot, bestätigte die Worte des Mannes aus dem Gasthaus vollkommen. Die Landschaft hätte kaum trübsinniger oder weniger einladend sein können. Doch da es jetzt viel kühler war und der Weg zum ersten Mal seit vielen Stunden bequem bergab führte, marschierten sie los, die Gürtel noch einmal eng geschnallt und im Gleichschritt, vorwärtsgeblasen von aufkommendem Wind. Die zeitweilige Spannung zwischen ihnen hatte sich mit der zügigen Bewegung unter körperlich angenehmen Bedingungen und durch ihre wiederaufgefrischte Zielstrebigkeit gelöst. Sie unterhielten sich ohne Unterbrechung und freundschaftlich, die Ablenkung beflügelte ihren Schritt. Margaret spürte den Gegensatz zwischen dem offenbar im Wetter wurzelnden Optimismus, als sie aufgebrochen waren, und dem Verhängnis, das jetzt aus ihm sprach; doch sie empfand das nicht als unangenehm, sondern zog daraus ein befriedigendes Gefühl von Tragik und Tüchtigkeit. So erging es ihr noch eine ganze Weile, nachdem es nun wirklich zu regnen begonnen hatte.
Die ersten, zögerlichen Tropfen, die ihr der Rückenwind in Kniekehlen und Nacken trieb, waren von süßer Sinnlichkeit. Sie hätte sich am liebsten ins Gras geworfen und den Regen langsam ihre ganze Haut überziehen lassen, bis es keinen trockenen Zentimeter mehr gegeben hätte. Doch dann sagte sie nur: »Hoffentlich erkälten wir uns nicht in unseren verschwitzten Kleidern.«
Mimi war stehengeblieben und hatte ihren Rucksack abgenommen, der schwerer war, weil sein Inhalt einen robusten, wetterfesten Regenmantel einschloß; Margarets war der leichtere, weil sie nur einen dünnen Gummimantel für die Stadt besaß. Mimi vermummte sich, befestigte ihren Rucksack unter den Schulterklappen des Regenmantels, band einen Südwester fest unter ihr Kinn und marschierte los, verschnürt und zugeknöpft bis unter die Ohren, als gehörten Wirbelstürme zu ihrem Alltag. Nach einer Viertelstunde spürte Margaret, wie ihr der Regen durch den lockeren Halsausschnitt ihres Capes den Körper herabzusickern begann, in sich ausdehnenden Flecken den Stoff durchdrang und seinen Weg auf unangenehmste Weise bis ins Innere der angeknöpften Kapuze fand. Eine halbe Stunde später war sie völlig durchnäßt.
Zu diesem Zeitpunkt hatten sie das Ende des Tunnels erreicht und blickten in einen tiefen, engen Einschnitt hinab, der in das Tal hinunterführte, so weit der Regen ihnen die Sicht erlaubte. Die Flanken des in den Stein gesprengten Einschnitts waren unüberwindlich steil.
»Das war’s dann wohl«, sagte Margaret ein wenig zittrig. »Wir müssen uns an das Stille Tal halten.«
»Auf der anderen Seite sieht es ganz gut aus«, sagte Mimi, »wenn wir nur rüber kämen.«
Trotz ihrer warmen Kleidung schien auch sie matt und zittrig. Auf der anderen Seite der Schienen und jenseits der Straße, die sie hergeführt hatte, erstreckte sich ein Meer kniehoher, durchnäßter Heide; doch hinter dem Einschnitt stieg das Gelände in einer ziemlich sanften Böschung an, die nur büschelweise bewachsen war.
»Es scheint keine Brücke zu geben.«
»Ich könnte eine Tasse Tee vertragen. Weißt du, daß es fünfundzwanzig Minuten nach sechs ist?«
Als sie unsicher dastanden, drang das Geräusch eines sich nähernden Zuges gegen den Wind zu ihnen, der so stark aus der entgegengesetzten Richtung blies, daß er den Rauch zwischen den Wänden des Einschnitts gefangenhielt. Der stürmische Gegenwind war so heftig, daß nur eine Minute zwischen dem Hören des langsam ansteigenden Zuges und seiner Ankunft auf ihrer Höhe lag. Der Heizer feuerte wie ein Besessener. Als die Lokomotive gegen die Windrichtung die weit oben stehenden Frauen passierte und das Getöse aus ihrem Schornstein über ihre Sinne hereinbrach, schaute der Lokführer plötzlich auf und winkte sichtlich gut gelaunt, was zu dem fürchterlichen Wetter nicht passen wollte. Dann griff er nach dem Pfeifenhebel und verdoppelte, als der Zug in den Tunnel hineinfuhr, für vierzig Sekunden den ohnehin schon unerträglichen Lärm des Dampfes aus dem Schornstein. Es war ein langer Tunnel.
Der Zug gehörte nicht zu der Sorte, die Margaret kannte (sie wußte wenig über Eisenbahnen); er bestand weder aus Personenwagen noch aus ratternden Güterwaggons, sondern aus langen, fensterlosen Anhängern, die keinen
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