Schluß auf ihre Fracht zuließen. Ein Nimbus aus warmer, öliger Luft umgab sie, um beinah im selben Augenblick fortgeblasen zu werden und sie aufs neue zitternd zurückzulassen.
Mimi hatte nicht zurückgewunken.
Sie nahmen ihren Weg wieder auf. Margarets Rucksack wog zwar schwerer als eines Köhlers Sack, hielt aber einen langen Streifen ihres Rückens beinahe im Trocknen.
»Winken die Zugführer immer zuerst?« fragte Margaret, um irgend etwas zu sagen.
»Natürlich. Wenn du zuerst winken würdest, würden sie dich wahrscheinlich nicht beachten. Bei Mädchen, die zuerst winken, stimmt sowieso etwas nicht.«
»Ich frage mich, was wohl bei Miss Roper nicht stimmt.«
»Wir werden’s erleben.«
»Das werden wir wohl. Hört sich nicht so an, als wäre sie ein guter Tip für die Nacht.«
»Wie weit ist es bis Pudsley?«
»Acht Meilen.«
»Also los!«
Eben noch war es Mimi gewesen, die so heftigen Widerwillen gegen das Tal zu empfinden schien. Es war merkwürdig, daß sie nun der etwas sinistren Miss Roper so gefaßt entgegensehen sollte. Merkwürdig, aber praktisch. Margaret ahnte, daß die Beständigkeit ihres eigenen Denkens und Fühlens nicht mehr Wohlbefinden bedeuten würde als Mimis wetterwendische Launen.
»Wo genau, glaubst du, haust diese Miss Roper?« erkundigte sich Mimi. »Das ist jetzt das wichtigste.«
Das einzig sichtbare Menschenwerk, abgesehen von der holprigen Straße, war die lange Spalte, die den Einschnitt der Eisenbahn zu ihrer Linken markierte.
»Die Karte hat sich als ziemlich ungenau herausgestellt«, sagte Margaret.
»Sollten wir nicht trotzdem einen Blick darauf werfen? Ich denke dabei wirklich an dich, Liebes. Du mußt dich fühlen wie ein nasser Lappen. An dich und an eine Tasse Tee.«
Der Wind blies sehr viel stärker als irgendwann vorher, aber sie fanden keine Steine zum Befestigen. Mauern säumten schon lange nicht mehr die Straße, und es schien keinen Stein zu geben, der größer gewesen wäre als ein Kiesel. Während sie unter Heidebüscheln wühlten, kam ein Zug bergan, der ohne Unterlaß pfiff.
Schließlich mußten sie aufgeben. Die Karte riß entzwei, sobald sie zur Hälfte aufgefaltet war. Der Platzregen hatte sie in wenigen Augenblicken in einen farblosen Brei verwandelt. Sie waren so erschöpft und hungrig, und Margaret, im allgemeinen tapferer, war dermaßen durchnäßt, daß ihr Widerstand bröckelte. Mimi stopfte den bereits durchweichten Klumpen zurück in Margarets Rucksack.
»Wir sollten besser zusehen, daß wir weiterkommen, selbst wenn wir den ganzen Weg bis Pudsley latschen müssen«, sagte sie, während sie einen Schnürsenkel zuband. »Sonst landest du noch im Krankenhaus.« Sie marschierte unerschrocken weiter.
Doch schließlich endete die Straße, die sich seit langem unmerklich verschlechtert hatte, an einem Tor, hinter dem nur noch ein verwildertes Feld lag. Sie waren an einem so tiefen Punkt angelangt, daß ihnen einstmalige primitive Bebauung möglich schien. Durchnäßt und erschöpft wie sie war, wandte sich Margaret nach dem Höhenzug um und sah, daß die Entfernung bis dorthin sehr viel geringer war, als sie angenommen hatte.
Steinerne Mauern tauchten wieder auf und zerschnitten das Land in monotone, gleichförmige, ungepflegte Parzellen. Noch immer waren keine Bäume zu sehen. Die Eisenbahnschienen hatten die Schlucht jetzt verlassen und konnten vermutlich überquert werden, aber die Frauen unternahmen keinen Versuch, denn vor ihnen war durch den sintflutartigen Regenschleier ein schwarzes Haus auszumachen. Es stand ungefähr sechs Felder von ihnen entfernt; keine Kleinigkeit, dorthin zu gelangen.
»Warum ist es so schwarz?« fragte Margaret.
»Pudsley. Die Kamine, die du so magst.«
»Der Wind kommt aus der anderen Richtung. Es liegt hinter uns.«
»Hätt ich doch meine Kletterstiefel«, sagte Mimi, als sie in das lange Gras hineinwateten. »Oder Wellingtons.«
Das Gras durchnäßte das untere Ende von Margarets Regencape noch mehr, was eine weitere Quälerei für sie war. Zwei Züge überholten einander, quälten sich hangaufwärts und sausten abwärts. Beide schienen sie gewöhnliche Personenzüge zu sein, lang und voll besetzt. Jedes einzelne Fenster war geschlossen. Das rief eine befremdende Wirkung hervor, wie von Dingen in einer Flasche, bis man begriff, daß selbstverständlich das Wetter der Grund dafür war.
Als sie über die matschigen Felder gestolpert waren und die hohen, schroffen Mauern dazwischen überwunden
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