Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0005 - Der Scharfrichter

0005 - Der Scharfrichter

Titel: 0005 - Der Scharfrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Friedrichs
Vom Netzwerk:
zwischen den Zeilen ausgedrückt«, nickte Fleming, »dieser ehrenwerte Mr. Jones war eine Spur zu diensteifrig. Und sein hochwohlgeborener Brötchengeber hat ihn anschließend in Schutz genommen. Gegen den Zorn des Volkes, das sowieso nichts zu melden hatte.«
    »So kann man es ausdrücken«, lächelte Zamorra, »und spätestens von diesem Zeitpunkt an galt der Scharfrichter bei den Bürgern von Llangurig als Geächteter. Was doppelt schwer wiegt, wenn man bedenkt, daß die Henker ohnehin von der Gesellschaft als Ausgestoßene behandelt wurden.«
    »Gordon Basil Jones hatte also einen fürchterlichen Zorn auf die Leute von Llangurig. Und der fünfte Henry ließ ihn vermutlich die nötigen Durchhalteparolen hören. Unser bedauernswerter Scharfrichter muß sich zu Tode gegrämt haben. Es ging ja anschließend ziemlich schnell mit ihm.«
    Professor Zamorra hob den Kopf. »Was weißt du darüber?«
    »Nun, es gibt eine Reihe von zeitgenössischen Berichten, die ich mir schon drüben in New York besorgt habe. Offiziell ist Gordon Basil Jones erst zwölf Jahre nach seiner letzten Hinrichtung gestorben. Es ist aber überliefert, daß er schon 1835, also ein Jahr nach dem unrechtmäßigen Tod des angeblichen Brudermörders, vom Grafen in die Burg geholt wurde. Jones hatte vorher am Stadtrand gelebt, wo er in seiner Freizeit eine Abdeckerei betrieb. Wie das damals so üblich war.«
    »Der Graf hat seinen Scharfrichter vor der Wut der Bürger geschützt«, folgerte Zamorra, »und dann?«
    »Es ist nur von Nachrichten die Rede, die aus der Burg an die Außenwelt drangen«, fuhr Bill Fleming fort, »jedenfalls munkelten die Bürger voller Schadenfreude, daß Schwertschwinger Jones mit einer gräßlichen Krankheit dahinsiechen würde. Wann er wirklich gestorben ist, wurde nirgendwo festgehalten. Es sei denn, man glaubt der gräflichen Chronik, die den Tod des Richters auf 1846 festlegt.«
    »Wo befindet sich sein Grab?« Fleming grinste breit. »Mach dir keine Hoffnungen, alter Freund. Gordon Basil Jones ist vermutlich ebenso verscharrt worden wie seine Opfer.«
    Kaum war das letzte Wort über seine Lippen gekommen, stutzte Bill Fleming über sich selbst.
    »Opfer«, wiederholte Professor Zamorra, »jetzt hast du es selbst ausgesprochen! Wie heute waren es auch damals Opfer. Auf welche Weise ihnen das Geständnis entlockt wurde, dürfte wohl klar sein. Der spätere Entzug der Gerichtsbarkeit bestätigt, daß Graf Henry seine Folterkammer zu sehr strapazierte.«
    Nicole, die bislang aufmerksam zugehört hatte, meldete sich zu Wort.
    »Ich weiß genau, worauf Sie hinauswollen, Professor!«
    »Tatsächlich?« Zamorra zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch.
    »Ich kann's mir denken«, brummte Bill Fleming, »die Sache mit den Opfern hat ihn gepackt.«
    »So ungefähr«, nickte Nicole, »Professor Zamorra glaubt, daß der Scharfrichter blutige Rache übt - an denen, deren Vorväter ihn mit Verachtung straften. Habe ich recht?«
    Zamorra nippte an seinem Whisky.
    »Gegen Ihre messerscharfe Logik ist kein Kraut gewachsen, Nicole.«
    Bill Flemings Unterkiefer klappte herunter.
    Er starrte seinen Freund entgeistert an.
    ***
    Im Gasthaus waren alle Lichter erloschen. Dunkelheit und tiefe Stille lagen auch über der Umgebung. Selbst in der nahe gelegenen Stadt herrschte nächtliche Ruhe.
    Eine halbe Stunde nach Mitternacht verließ Professor Zamorra sein Zimmer im oberen Stockwerk des Gasthauses.
    Lautlos zog er die Tür hinter sich ins Schloß. Es bereitete ihm keine Mühe, ohne jedes Geräusch das Gebäude zu verlassen. Die Zimmer von Nicole Duval und Bill Fleming lagen auf der anderen Seite des Korridors. Doch vermutlich schliefen Nicole und Bill ohnehin bereits, erholten sich von den Strapazen des Tages.
    Durch die Hintertür trat Zamorra auf den Hof hinaus, wo sein Mietwagen stand. Der Professor bewegte sich leicht und behende wie ein Schatten. Er trug einen schwarzen Anzug, dessen hochwertiger Stoff seinen Körper wie eine zweite Haut umgab. Dazu einen dunkelblauen Rollkragenpullover und Leinenschuhe mit Gummisohlen.
    Die Finsternis der Nacht verschluckte ihn.
    Mit raumgreifenden Schritten eilte Zamorra am Rand des Kopfsteinpflasters entlang. Er überquerte die Brücke und verließ gleich darauf die Straße.
    Abseits des Weges pirschte er sich durch das Gelände voran, das nur vereinzelt mit Buschgruppen übersät war.
    Unablässig spähte Zamorra zum Hügel empor. Seine scharfen Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und er

Weitere Kostenlose Bücher