0005 - Der Scharfrichter
Gefahr war.
Von der schwefligen Lichtglocke umgeben, schritt der Scharfrichter nun die Treppe herab.
Anders als bei den Dämonen, die Zamorra festhielten, waren die Schritte des Scharfrichters deutlich zu hören.
Zamorra wußte, daß er nicht durch das Richtschwert sterben würde.
Noch nicht.
Der Scharfrichter handelte nur auf einen Urteilsspruch hin. Nur dann, wenn der Graf von Llangurig ihm die Vollmacht gegeben hatte, seines Amtes zu walten. Dieser Urteilsspruch fehlte noch für Zamorra, den die Dämonen als Störenfried, als unliebsamen Eindringling betrachteten.
Aus gemessenem Abstand verfolgten sie den Weg des Scharfrichters, der die beiden regungslosen Polizeibeamten nicht beachtete.
Zamorra war gezwungen, es ebenfalls mit anzusehen.
Er konnte das Verderben nicht aufhalten, daß der Scharfrichter von neuem über die Leute von Llangurig bringen würde. Denn Zamorra spürte, daß er in den kommenden Minuten alle Kraft aufbringen mußte, um sein eigenes Leben zu retten. Es mußte ihm gelingen. Denn nur dann hatte er die Möglichkeit, weiteres Unheil zu verhindern.
Die Tür schwang auf, ohne daß der Scharfrichter die Klinke berührt hatte. Dann, als sich das Portal wieder schloß, war das schweflige Licht nur noch durch die Fenster vom Burghof her zu sehen.
Es war wie ein Zeichen für die Dämonen.
Unvermittelt brandete ihr Hohngelächter wieder auf.
»Hinfort mit ihm!« gellte die Stimme der Frau in schrillsten Mißtönen.
Die knochigen Fäuste schleiften Zamorra an der Treppe vorbei.
Er ließ es geschehen. Noch war der Zeitpunkt nicht gekommen, um sich gegen die körperliche Gewalt der Dämonen aufzulehnen.
Denn noch wagten sie es nicht, ihm das Amulett zu entreißen.
Aber Professor Zamorra wußte, wie kurz seine Frist war.
***
Der Konstabler trat aus dem Vorgarten auf den Bürgersteig und näherte sich der Bordsteinkante, wo ein Streifenwagen parkte.
Nur noch jede zweite Peitschenmastlampe brannte in der Hauptstraße von Llangurig. Alle Häuser waren dunkel, die Straße wie ausgestorben. Nur vereinzelt standen Limousinen an den Fahrbahnrändern. Die meisten Bürger besaßen ihre Garagen auf den Hinterhöfen.
Ein zweiter Uniformierter stieß die Beifahrertür des Streifenwagens auf und schwang sich ins Freie.
»Feuer frei«, brummte er nach einem kurzen Rundblick und hielt dem anderen eine Zigarettenschachtel hin.
Der Konstabler bediente sich.
»Danke, Sergeant. Sieht so aus, als ob es eine verdammt langweilige Nacht wird, wie?«
»Es gibt wahrhaft bessere Beschäftigungen für diese Zeit«, nickte der Sergeant und blies eine Qualm wölke in die kühle Nachtluft.
»Wir sind die Dummen«, seufzte sein Untergebener, »wenn die hohen Tiere um ihre Sicherheit bangen, kann unsereins antanzen und…«
Mitten im Satz brach der Konstabler ab.
Die Straßenlampen waren erloschen.
»Mist!« fluchte der Sergeant. »Da stehen wir jetzt mit unserem Talent! Dem Elektrizitätswerk wurde ausdrücklich Bescheid gegeben, daß die Sparschaltung die ganze Nacht über beibehalten werden soll! Morgen kriegen die eine saftige Beschwerde, Konstabler, darauf können Sie sich verlassen!«
Der Konstabler packte seinen Unterarm.
»Sergeant!« flüsterte er. »Das hat nichts mit dem E-Werk zu tun! Sehen Sie, dort!«
»Wo?« knurrte der Sergeant. Wegen der Dunkelheit konnte er nicht feststellen, in welche Richtung sein Kollege deutete. »Was, zum Teufel, haben Sie, Konstabler?«
Doch der junge Beamte brachte keine Antwort mehr hervor.
Zwei Sekunden später hatte es auch der Sergeant erfaßt.
Schwefliggelber Lichtschein begann am östlichen Ende der Straße zu schimmern, kam langsam, unaufhaltsam näher. Der unwirkliche Glanz spiegelte sich in den Schaufensterscheiben der Geschäftshäuser und wurde vom feuchten Asphalt der Fahrbahn reflektiert.
Noch ehe die beiden Beamten das Unfaßbare zu deuten versuchen konnten, wurde ihre Aufmerksamkeit abgelenkt.
Im Eingang des alten Patrizierhauses, das sie bewachten, schwang die Tür auf.
Verblüfft starrten der Sergeant und der Konstabler auf den Mann, der wie in Trance herauskam.
Diesmal war es der Sergeant, der als erster reagierte.
Er lief auf die Gartenpforte zu.
»Herr Bürgermeister! Was hat das zu bedeuten? Sie haben sich verpflichtet, das Haus nicht zu verlassen! Sonst können wir nicht dafür garantieren, daß sie…«
»Gehen Sie aus dem Weg!« unterbrach ihn der Bürgermeister von Llangurig mit einer Handbewegung. »Es ist unabwendbar. Meine Zeit
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