0005 - Der Scharfrichter
dem Pullover hervor.
Als er es hochhielt, versiegte das Rauschen. Die Lichtstrudel kamen zum Stillstand.
Zamorras Atem stockte. Würde die Kraft des Amuletts auch diesmal ausreichen, um die Macht der Dämonen auszuschalten?
Noch während die Zweifel in ihm bohrten, formten sich Konturen aus dem Licht, das in allen Farben schillerte. Umrisse von Gestalten waren zu erkennen.
Menschliche Gestalten…
Schrilles Hohngelächter brandete urplötzlich auf. Die Stimmen hallten von den Wänden zurück, erfüllten den großen Raum mit nervenzerfetzendem Lärm.
Dann materialisierten sich die Körper.
Zamorra war minutenlang nicht fähig, sich zu bewegen.
Das gellende Gelächter hielt an.
Zamorra warf den Kopf herum, sah sich von vier Gestalten eingekreist.
Bärtige Gesichter, in denen feurige Augen glühten, voller Haß und tödlicher Drohung…
Kleidung, wie sie vor einhundertfünfzig Jahren üblich gewesen war - Pluderhosen, Lackschuhe, samtene Jacken, Mützen in der Form von überdimensionalen Baretts…
Dann erschien eine Frau, die sich aus einem fünften Lichtstrudel materialisierte.
Ihr Kleid reichte glockenförmig bis zum Boden, ihre Haare schimmerten goldblond und waren kunstvoll hochgesteckt.
Doch ihre Augen glühten in dem gleichen haßerfüllten Feuer, wie die der vier männlichen Schreckensgestalten.
Im nächsten Moment übertönte ihre Stimme das markerschütternde Hohngelächter.
»Packt ihn! Packt den Eindringling! Nur körperliche Gewalt ist gegen ihn anzuwenden!«
Die Stimme der Frau war schrill und schneidend wie die einer Sirene aus der Düsternis der Antike.
Zamorra begriff. Geistesgegenwärtig ließ er das Amulett wieder verschwinden. Wenn sie es ihm entrissen, war er verloren.
Sie kamen näher, kichernd, freudig nickend, mit klauenförmig ausgestreckten wachsbleichen Händen.
Sie hatten erkannt, daß sie ihm mit ihrer dämonischen Macht nichts anhaben konnten. Zamorra hatte sie gezwungen, Gestalt anzunehmen. Die Kraft des Amuletts hatte ihm dabei geholfen.
Nun versuchten sie es mit dem einzigen Ausweg, der ihnen blieb - ihn mit körperlicher Gewalt zu bezwingen.
Zamorra tauchte nach unten weg.
Das triumphierende Kichern brach ab.
Doch er schnellte ins Leere, als er sich auf die Gestalt warf, die ihm am nächsten war.
Wieder brandete das Hohngelächter auf.
Zamorra fing seinen Schwung ab, stolperte einige Schritte weit auf die Treppe zu.
Er wollte herumwirbeln.
Doch da war etwas, das ihn erstarren ließ.
Oben war der schweflige Lichtschein zur gleißenden Helligkeit geworden.
Dumpfe Schritte begleiteten das Knarren der Fußbodendielen.
Das schrille Gelächter stürmte von hinten auf Zamorra zu. Er erkannte die Gefahr und brachte es doch nicht fertig, sich zu wehren.
Der Anblick war zu grauenvoll, selbst für ihn.
Die Silhouette tauchte hinter der Balustrade auf, kam näher, verharrte vor der obersten Treppenstufe und war nun deutlich zu erkennen.
Zamorra fühlte sich von knochigen eisenharten Fäusten gepackt. Trotzdem konnte er den Blick nicht wenden.
Mit dem Kichern, das ohrenbetäubend auf seine Trommelfelle traf, spürte er den Gluthauch, der der Atem der Dämonen war.
Der Scharfrichter stand breitbeinig dort oben.
Sein Gesicht war von dem großen Schirm der topfförmigen Mütze nahezu vollständig verdeckt. Die graue Jacke lag eng an seinem muskulösen Oberkörper. Die Kniebundhose, die grobmaschigen Strümpfe, die Schnürstiefel…
Das alles hatte Zamorra gesehen.
Aber auch die Statur des Scharfrichters kam ihm bekannt vor, so, als ob er ihn nicht zum erstenmal vor sich sah.
Der Scharfrichter der Grafen von Llangurig hatte die blitzende Klinge des Richtschwerts über seine Schulter gelegt. Den Beidhandgriff hielt er in der Rechten.
Als er die freie Hand bedächtig anhob, verstummte das gellende Gelächter der Dämonen.
Seine Stimme klang hohl und grollend.
»Nehmt euch des Störenfrieds an, denn meine Pflicht ruft! Verwahrt ihn und findet den Urteilsspruch, der ihm zukommt!«
Ein vielstimmiger Schrei war die Antwort, voller freudiger Zustimmung. Das Echo hallte von den Wänden zurück, brach sich in schrillen Dissonanzen.
Zamorra wurde zur Seite gezerrt. Der glühende Atem der Dämonen umwehte ihn.
Er war noch zu fassungslos, um zu einer sinnvollen Gegenwehr zu greifen.
Viel zu sehr überwältigte ihn die Erkenntnis, daß er der Lösung des grauenvollen Rätsels nahe war - so nahe, daß er nicht mehr an sein eigenes Leben dachte, das jetzt in höchster
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