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0006 - In den Klauen der Mumie

0006 - In den Klauen der Mumie

Titel: 0006 - In den Klauen der Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.F. Morland
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jedoch keinem darüber böse.
    Ratcliff war ein stattlicher Mann, der dicht vor dem sechzigsten Geburtstag stand. Sobald er das Theater betrat, schlüpfte er in einen weißen Mantel. Niemand hier kannte ihn anders.
    Er hatte graues Haar, ein wenig zu groß geratene Ohren, aber Hände, die einem Klaviervirtuosen zur Ehre gereicht hätten.
    Er untersuchte die Hand des Bühnenarbeiters kurz.
    »Gebrochen«, stellte er lakonisch fest.
    »Das habe ich sofort gewußt, als es gekracht hat«, sagte der Arbeiter mit zusammengepreßten Zähnen.
    Dr. Ratcliff gab ihm eine schmerzstillende Spritze.
    »Schwester Elsie wird Sie ins Krankenhaus fahren. Gehen Sie zu ihr.«
    Der Mann erhob sich.
    »Danke, Doc. Sie sind ein feiner Kerl.«
    Der Arzt lächelte.
    »Unsinn. Wenn jemand seine Arbeit tut, ist er noch lange kein feiner Kerl. Gehen Sie jetzt. Ihre Hand muß geschient und eingegipst werden.«
    »Okay, Doc.«
    Der Arbeiter ging.
    »Und nun zu Ihnen«, wandte sich Dr. Ratcliff an Barbara Blake.
    Sie hörte ihn kaum, saß da, als wäre ihr Geist in einer anderen Welt. Ihr Hals war gerötet. Sie hatte Schluckbeschwerden und ein fruchtbares Dröhnen im Schädel, das fast lauter war als Dr. Ratcliffs Stimme.
    Nun hob sie den Kopf.
    Mit fieberglänzenden Augen schaute sie den Arzt an, blickte aber gleichzeitig durch ihn hindurch.
    »Dr. Ratcliff«, sagte sie leise, und ihre Stimme schien von weither zu kommen.
    Er griff nach ihrem Augenlid, zog es hoch, bückte sich, schaute sie genau an, griff nach Ihrem Puls, maß ihn.
    »Verdammt schlimme Sache, die Sie da erlebt haben, Barbara.«
    Die Schauspielerin nickte.
    »Was mache ich nur mit Ihnen?«
    »Ich muß weiterspielen, Dr. Ratcliff.«
    »Haben Sie Schmerzen?«
    »Nein.«
    »Wirklich nicht?«
    »Nein. Nur…«
    »Nur?«
    »Mein Kopf. Er droht zu zerspringen.«
    »Ich gebe Ihnen etwas.«
    Der Arzt machte eine Beruhigungsspritze fertig. Er hielt sie hoch und drückte den Kolben ein Stück in den Spritzenkörper hinein. Aus der Nadel schoß eine klare Fontäne wie Wasser heraus.
    »Geben Sie mir bitte Ihren Arm, Barbara«, verlangte Dr. Ratcliff.
    Sie tat es willenlos. Als er die Kanüle in ihre Vene schob, zuckten ihre Lider kurz.
    »So«, sagte der Doktor, nachdem er die Injektion gemacht hatte. »Weiterspielen müssen Sie also.«
    »Ja, Doktor.«
    »Ich würde Ihnen davon abraten.«
    »Ich muß…«
    »Hören Sie, Barbara. Sie haben einen schweren Schock erlitten. Es wäre besser für Sie, aufzuhören. Ich kann Sie natürlich nicht zwingen, die Bühne nicht mehr zu betreten, aber ich muß Sie davor warnen. Selbst wenn die Injektion Ihnen guttut und Sie sich wieder einigermaßen fit fühlen, sollten Sie nach Hause gehen und ein paar Tage ausspannen.«
    Barbara schüttelte den Kopf.
    »Das kommt nicht in Frage, Dr. Ratcliff. Ich habe noch niemals eine Vorstellung abgesagt. Ich werde sie auch heute nicht absagen, sondern zu Ende spielen.«
    »Verdammt noch mal, Sie sind doch auch noch nie beinahe erwürgt worden!« sagte Dr. Ratcliff ärgerlich. Er meinte es gut mit dem Mädchen.
    Doch Barbara Blake blieb hart.
    »Ich werde weiterspielen«, sagte sie fest.
    Ratcliff kannte sie gut genug, um zu wissen, wie starrsinnig sie sein konnte. Seufzend gab er auf. Als er nach draußen ging, drehte er sich an der Tür noch einmal um.
    »Eines sage ich Ihnen, Barbara. Verantwortung übernehme ich in diesem Fall keine!«
    ***
    »Im ersten Akt war sie größer als alle Schauspielerinnen, die ich jemals auf der Bühne stehen gesehen habe«, sagte Professor Zamorra in der Pause. Sie standen im Foyer und tranken Cocktails. »Aber im zweiten Akt war sie schlechter als die mieseste Schauspielerin, die ich jemals in einem Theater auf der Bühne erlebt habe!«
    Bill Fleming nickte erschüttert. Auch ihm war dieser eklatante Leistungsabfall aufgefallen, und er konnte ihn sich nicht erklären.
    »Sie war gar nicht mehr sie selbst«, sagte er verwirrt.
    »Ist es möglich, daß sie gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe ist?« fragte Nicole, spitzte die Lippen und saugte am Plastikhalm, der aus dem Glas ragte.
    »Was wollen Sie damit sagen, Nicole?« fragte Bill.
    »Nun, vielleicht hatte sie zwischen dem ersten und dem zweiten Akt einen kleinen Nervenzusammenbrauch oder einen Herzanfall. Das würde ihren sichtbaren Verfall erklären.«
    »Ich sollte zu ihr gehen«, sagte Bill.
    »An deiner Stelle würde ich sie jetzt lieber nicht belästigen«, riet Professor Zamorra.
    »Belästigen!« sagte Bill ärgerlich.

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