001 - Das Grauen schleicht durch Bonnards Haus
hatte.
Er legte seine Zigarre in den Ascher zurück, als an die Tür geklopft wurde.
»Ja – kommen Sie bitte herein ...«
Dr. Pascals Assistentin war eine zwanzigjährige Blondine, die einen
modischen Rock trug. Der Laborbericht lag in einem grauen Plastikhefter. Die
hübsche Besucherin legte ihn auf den Schreibtisch.
»Merci«, sagte Sarget nochmals, löste das Siegel und überflog hastig die
ersten Zeilen, die eine Zusammenfassung dessen darstellten, was Pascal später
in allen Einzelheiten darlegte. Der Kommissar war so sehr in die Ausführungen
vertieft, dass ihm nicht mal eine Bemerkung über Claudias Beine über die Lippen
rutschte, was er sich sonst nie entgehen ließ.
Wortlos zog sich die Blondine zurück. Sarget las Pascals Bericht zweimal
hintereinander.
Die chemischen und serologischen
Untersuchungen haben ergeben, dass der Tod bei Marc Lepoir durch eine
Verklumpung der roten Blutkörperchen eingetreten ist. Monsieur Lepoir war
Träger der Blutgruppe A. Durch die Bisswunde wurde Blut der Gruppe B in Lepoirs
Venen geschleust. Weiterhin steht fest, dass ein teilweiser Blutaustausch
erfolgte. Etwa fünfhundert Kubikzentimeter Blut der Gruppe A wurden durch
fünfhundert Kubikzentimeter der Gruppe B ausgetauscht. Dieser Austausch ist
durch die Bisswunde erfolgt. Der Körper des Toten weist keine weiteren Wunden
oder Injektionsstiche auf, die den Schluss zulassen, dass das fremde Blut
eventuell auf eine andere Weise in Lepoirs Körper gelangt ist.
Gezeichnet Dr. Pascal.
Kommissar Sarget hatte wenig später noch ein persönliches Gespräch mit dem
Arzt. Pascals Laborbericht und seine Ansicht veranlassten Sarget zu einem
ungewöhnlichen Schritt.
Es gab ein persönliches Handschreiben des Innenministeriums an ihn. Niemand
außer Sarget wusste von diesem Brief. Die Nachricht war ihm vor sieben Monaten
überbracht worden, zu einem Zeitpunkt, als die ersten Berichte über angebliche
Vampiropfer bekannt wurden, als jedoch noch keine greifbare Beobachtungen und
Ergebnisse vorlagen. In den umliegenden Ortschaften, die teilweise bis zu
fünfzig Kilometer von Maurs entfernt lagen, war es in den zurückliegenden
sieben Monaten zu einigen rätselhaften Überfällen gekommen. Personen entdeckten
an sich geheimnisvolle Bisswunden und beklagten sich morgens über Mattigkeit
und Müdigkeit. Da entstand das Gerücht von den Vampiren, die hier ihr Unwesen
trieben und die doch schließlich noch kein Mensch gesehen hatte. Normale
Routineuntersuchungen verliefen im Sand, weil niemand die Geschichte ernst
nahm. Dennoch schalteten sich unerwartet der Innenminister und der französische
Geheimdienst in Paris ein. Alle Kriminalkommissariate im Land wurden
aufgefordert, diese Sonderfälle sofort weiterzuleiten und die Bearbeitung
einzustellen, der Geheimdienst interessiere sich dafür, hieß es ...
Sarget schüttelte unwillkürlich den Kopf, während ihn diese Gedanken
beschäftigten.
Nun war er also dran. Er hätte nie damit gerechnet, dass auch er einen
derart merkwürdigen Fall würde weiterleiten müssen.
Nachdenklich und ernst verpackte er die Unterlagen und die Fotografien von
dem toten Marc Lepoir, legte einen handgeschriebenen Vermerk bei und
versiegelte das Kuvert.
Noch in derselben Stunde verließ die Sendung sein Büro. Sarget versuchte,
seine Gedanken anderen Problemen zuzuwenden, die ihn außer dem merkwürdigen
Vorfall noch beschäftigten. Doch das fiel ihm schwer. Je mehr Gedanken er an
das Ereignis verschwendete, desto mehr Fragen stellten sich ihm.
Warum interessierte man sich in Paris für diese Dinge? Was hatte der
Geheimdienst damit zu tun?
Es ging etwas vor, das über seinem Begriffsvermögen lag. Doch in Paris
schien man mehr zu wissen ... Sarget stand am Fenster und starrte auf die
Straße, während die Zigarre zwischen seinen Lippen langsam erkaltete.
»Seltsam«, murmelte er. »Da gibt es etwas, wo man mit Vernunft und Logik nicht
weiterkommt. Da gibt es einen Fall, der in meinen Zuständigkeitsbereich fällt –
und doch geht er mich nichts an! Er passt eben nicht in das herkömmliche Schema
...«
Wenn er nur eine Ahnung gehabt hätte, was da wirklich vorging, wäre ihm
wohler zumute gewesen. In Paris wusste man sicher mehr – warum nicht auch hier
in Maurs?
Der Kommissar ahnte nicht, dass in diesen Sekunden tatsächlich schon jemand
in der Stadt lebte, der mehr über die Dinge wusste als er.
Dieser Mann hielt sich erst seit kurzem in Maurs auf. Keine achthundert
Meter vom
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