0012 - Ich - und der Mörder ohne Waffen
ich hielt die Klinke in der Hand.
»Sie irren, Mr. Cotton«, sagte Ann Thomper. »Ohne Zweifel war es die Stimme der Mrs. Canzer. Ich habe sie oft genug gehört, und ich erkannte sie sofort wieder, und ich bin nicht hysterisch.«
Ich starrte sie mit offenem Mund an.
»Aber Mrs. Canzer ist tot«, stotterte ich.
Ann Thomper hob leicht die Schultern. »Sorry«, sagte sie, »aber es war trotzdem ihre Stimme, die dort sprach.«
***
Ich hatte mich in eine Ecke meines Wagens geflegelt, die Knie hochgezogen und gegen das Armaturenbrett gestemmt und nuckelte wütend an der achten Zigarette nach Verlassen der Canzerschen Wohnung.
Meine Gedanken kreisten immer nur um das gleiche Problem. Carla Canzer, die Mutter von Charlot, war tot. Daran gab es keinen Zweifel. Ich hatte die Fotokopien der Sterbeurkunden bei den Akten gesehen. Ebensowenig aber hatte ich Grund, Ann Thompers Meinung anzuzweifeln, die Stimme der Toten bei der Geisterbeschwörung wirklich gehört zu haben.
Schön, ich weiß, es gibt Tonbandgeräte und Schallplatten, um die Stimme eines Menschen über seinen Tod hinaus zu konservieren. Ich weiß das, ohne daß Sie mich darauf stoßen, aber vergessen Sie nicht die merkwürdigen Sätze, die sie sagte, und denken Sie an das seltsame, geisterhafte Gesäusel, in dem sie sprach.
Carla Canzer muß zu ihren Lebzeiten ziemlich spleenig gewesen sein, aber nicht spleenig genug zu einem solchen Scherz. Gerade, weil sie an all das glaubte, war man ihr an Übersinnlichem vorsetzte, gab sie sich bestimmt nicht zu einem posthumen Betrug her.
Es war zwei Uhr nachts, als sich die Haustür öffnete, und in dem schwachen Lichtkegel, der aus der Garderobe auf die Straße fiel, kam Ann Thomper auf mich zu.
Ich stieg aus und ging ihr entgegen.
»Es war gar nicht leicht, sie zum Schlafen zu bringen«, flüsterte sie. »Ich mußte ihr eine doppelte Dosis geben.«
»Haben Sie das Kästchen?«
»Ja, hier. Aber ich möchte es ihr zurückgeben. Sie hielt es auch während des Schlafens in den Händen. Ich konnte es nur mühsam herauswinden. Sie muß es wiederfinden, wenn sie morgen erwacht.«
Ich nickte, langte durch das Fenster zum Armaturenbrett meines Wagens und schaltete das Fahrlicht ein. Dann ging ich nach vorn und öffnete den Samtkasten im Strahl der Scheinwerfer.
Golden glitzerte es mir entgegen. Ich hatte keine bestimmte Vorstellung davon gehabt, was ich in diesem Kästchen finden würde, aber als ich es jetzt sah, kam es mir so vor, als hätte ich nichts anderes erwartet.
In blauem Samt gebettet, schimmerte eine seltsame Spirale aus Golddraht, die sich nach oben zu verengte, genauso ein Schmuckstück also, wie es Carla Canzer und die beiden Thompers getragen hatten, als man sie fand, vergiftet von der Blausäure im Wein.
***
Ich steckte das Ding in die Tasche, ließ das Kästchen wieder zuschnappen und gab es Ann Thomper zurück.
»Was war es?« fragte sie. Ich hatte ihr den Rücken zugewandt, und sie hatte keinen Blick auf die Spirale werden können.
»Ein Schmuckstück«, sagte ich. »Wenn Sie wollen, nennen Sie es den ›Armreif des Todes‹. Prima Überschrift für ein gruseliges Kinostück, jedenfalls vielen Dank für Ihre Hilfe.«
Sie sah mich ein wenig neugierig an.
»Ich glaube, ich habe heute nacht noch etwas zu erledigen, Miss Thomper«, sagte ich. »Passen Sie sehr gut auf die kleine Charlot auf, und rufen Sie mich an, wenn etwas passiert. Ich telefoniere jedenfalls morgen früh mit Ihnen.«
Ich schwang mich hinter das Steuer, winkte und zischte ab. Ich war um die nächste Ecke, kaum daß sie die Tür erreicht haben konnte, und bremste ab, sobald ich aus ihrem Blickfeld war. Ann Thomper war sicherlich ein vorzügliches Mädchen, aber wenn ich nachdenken muß, bin ich lieber allein.
Ich schob mir eine neue Zigarette zwischen die Lippen, nahm die Spirale heraus und sah sie mir an.
Ohne Zweifel hatte das Ding irgendeine Bedeutung, aber der Henker mochte mich holen, wenn ich wußte, welche.
Eines stand jedenfalls fest. Die ganze Sache ging von dem Ypsilonbau in der einhundertzweiunddreißigsten Straße aus, und ich würde hinter die Kulissen schauen. Ich schob die Goldspirale in die Tasche, warf den Zigarettenrest aus dem Fenster und gab Gas.
Ich parkte den Mercury nicht in der einhundertzweiunddreißigsten Straße, sondern in der Querstraße, der einhundertdreißigsten. Hinten im Fond hatte ich Mantel, Hut und Schal liegen, und ich zog alles an. Ich inspizierte den Werkzeugkasten des Wagens und
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