0013 - Die Knochengrube
trat an die Tür zum Ruderraum und betrachtete wieder das Skelett. Diesmal erblickte er auch den Säbel. Er lag in einer Ecke, die sich für seinen vorherigen Standort im toten Blickwinkel befand. Die Waffe schien gut erhalten zu sein. Zamorra wollte einen Schritt vorwärts machen und sie aufklauben.
Durch seine Bewegung geriet das Wrack ins Wanken.
Zamorra versuchte, einen Ausgleich herbeizuführen, indem er rückwärts schritt. Er hatte keinen Erfolg. Alles, was er noch tun konnte, war, seine eigene Haut zu retten, denn das Wrack wollte den Abhang hinabgleiten, um noch tiefer in den Fluten zu verschwinden.
Der Professor sandte ein Signal zur »Quimper«.
Die Stahltrosse straffte sich, ruckte und zog ihn von der Brücke des Kutters – gerade noch rechtzeitig. Die Verstrebungen rutschten buchstäblich unter Zamorras Füßen fort. Das Wrack legte sich auf die Seite. Gleich darauf bekam es endgültig das Übergewicht und überschlug sich. Das sah grotesk aus, weil unter der Wasseroberfläche alle Bewegungen im Zeitlupentempo vollführt wurden.
Der Kutter wühlte Schlick auf und tauchte in der Wolke unter, die dem Verteidigungsnebel eines Kraken ähnlich sah. Mit dem algenüberwucherten Gebilde entzog sich auch das Skelett Zamorras Blicken – und der Säbel, der allem Anschein nach jenen Unglücklichen geköpft hatte. An der Waffe haftete ein Geheimnis, da war sich der Professor sicher. Hatten nicht auch Kapitän Pravemann und sein Funker Koog von säbelschwingenden Gespenstern gesprochen?
Und lag es nicht auf der Hand, daß sie durch eben jene Mordinstrumente ins Jenseits befördert worden waren? Aber welche Verbindung bestand zu dem spanischen Kutter?
Zamorra grübelte.
Als er auftauchte, nahm er Nicoles erfreutes Gesicht kaum wahr.
Über die rauhen Sprossen der Leiter kletterte er an Bord der Jacht.
Obwohl er nicht an Platzangst litt, war er froh, den schweren Helm endlich vom Kopf zu bekommen.
»Sie sehen besorgt aus, Chef«, sagte Nicole. »Was haben Sie entdeckt?«
Er berichtete. Zum Schluß meinte er: »Die Geschichte wird immer mysteriöser, Nicole. Und ich habe das unheimliche Gefühl, daß die Mordserie noch nicht zu Ende ist.«
***
»Prächtiger hätte der Empfang nicht auffallen können«, sagte Zamorra voll Ironie.
Kommissar Panassié wartete am Laufsteg der »Quimper«, als sie in Arcachon an Land gingen. Der dickliche Mann zeigte eine Leichenbittermiene. »Ich möchte wissen, was Sie auf See zu suchen gehabt haben!« Er maß die Taucherausrüstung auf dem Achterdeck der Jacht mit einem mißtrauischen Blick. »Falls Sie nach der ›Drachten‹ Ausschau halten wollten, haben Sie die Position verfehlt.«
»Ich habe nach dem Wrack der ›Estrella Negra‹ geforscht, aber nur einen spanischen Kutter gefunden«, erwiderte Zamorra.
»Sie sind nicht zu retten. Natürlich ist auch mir zu Ohren gekommen, daß das nur in der Einbildung existierende Geisterschiff der ›Estrella Negra‹ geähnelt haben soll. Freut mich, daß Sie sich die Nase gestoßen haben. Vielleicht lassen Sie jetzt endlich die Finger von dem Fall. Verbieten kann ich es nicht, aber lassen Sie sich gesagt sein: Die Taucher haben den gesunkenen Frachter entdeckt und untersucht. Es war, wie ich angenommen hatte. Das Schiff brach im Orkan auseinander. In der Mitte. Es hat eine Kesselexplosion gegeben, und durch die umherfliegenden Metallsplitter wurden die Besatzungsmitglieder getötet.«
»Alle zehn?«
»Nur einer ertrank. Wir fanden weitere sieben Leichen auf dem Grund der Biskaya und brauchen also nicht mehr nach Überlebenden zu forschen. Leider.«
»Das alles hört sich sehr einleuchtend an, Chef«, konnte sich Nicole Duval nicht verkneifen zu sagen.
Zamorra ging darüber hinweg und wandte sich mit einer Frage an den Mann von der Brigade Criminelle: »Sagen Sie, sind die Angehö- rigen der Holländer verständigt worden? War Joop Pravemann eigentlich verheiratet?«
»Nein«, brummte Panassié. »Der Kapitän hat überhaupt keine lebenden Verwandten. Oder besser, keine offiziellen. Ich habe nämlich herausgefunden, daß er ein unehelicher Sohn war, das ergab sich ganz einfach aus den Angaben der Hafenkommandantur von Amsterdam, die wir über Fernschreiber erhalten haben.«
»Er trug den Namen der Mutter?«
»Ja. Anne Pravemann starb 1955. Joop war das einzige Kind, es gibt also keine Geschwister, die man benachrichtigen könnte.«
»Und der Vater?«
»Starb schon 1933, kurz nach der Geburt des Kindes.«
»Sein
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