0017 - Wolfsnacht
noch einen schrecklichen Fluch auszusprechen. ›So höret denn, Bewohner des Fleckens Limone. Durch mich spricht der Satan zu euch. Bittere Rache habe ich euch geschworen. Euren Ort habe ich auserkoren, um von hier aus die Weltherrschaft anzutreten. Ihr habt mich verschmäht. Dafür werde ich euch bestrafen. In genau dreihundert Jahren werde ich alle Bewohner zusammenrufen, deren Vorfahren meine Anhänger umgebracht haben. Wir werden dann dem Höllenfürsten den Weg auf die Erde vorbereiten. Alle müssen in dieser Nacht sterben, die nicht mit uns kämpfen. Und nicht ich werde zu Euch kommen, sondern jemand, der mein Fleisch und Blut ist. Fluch über euch! Fluch!‹ Und mit diesen Worten löste er sich vor den Augen der entsetzten Zuschauer buchstäblich in Rauch auf. Natürlich dachten die Leute sofort an das Kind, von dem sie glaubten, daß es ein Nachkomme des Satans war. Jedoch sie fanden es nicht. Und niemals wurde jemand Verdächtiger in der Umgebung gesehen. Die Felsenhöhle mauerte man zu, und niemand hat sich seitdem dorthin gewagt. Auch die Touristen nicht. Es ist, als wären die Augen des Suchenden mit Blindheit geschlagen, sobald sie sich diesem Verlies nähern. Und seit jener Zeit warten auch die Alten des Dorfes, deren Vorfahren damals dabeigewesen sind, daß sich der Fluch erfüllt. Immer wenn ein Wolf in dieser Gegend gesehen wird, flackern die alten Legenden wieder auf. Und wenn Sie mich fragen, Professor, ich glaube an die alten Geschichten. Ich bin ganz sicher, daß hier in allernächster Zeit etwas geschehen wird. Ich weiß nur nicht, wann.«
Der alte Mann schwieg. Auch Zamorra gab zuerst keinen Kommentar. Zu ungeheuerlich war das, was er soeben gehört hatte. Ein anderer hätte die Geschichte wahrscheinlich als Hirngespinst abgetan. Doch er wußte ganz genau, daß es Dinge gab, die man mit rationalen Argumenten nicht ergründen konnte. Konnte das nicht auch hier der Fall sein?
»Ich glaube, ich habe schon einen Verdächtigen. Nur kann ich jetzt noch nichts darüber sagen.« Zamorra knetete sein Kinn. »Ich werde mich noch weiter umschauen. Wenn ich noch irgendwelche Fragen haben sollte, wo kann ich Sie dann erreichen?«
Carlo Gionti bekam große Augen. »Ich habe ein kleines Zimmer hier im Gebäude. Wenn Sie unten klopfen, kann ich es sehr gut hö- ren. Doch warten Sie, Sie haben einen Verdächtigen? Sie wissen, wer sich hinter dieser unseligen Geschichte versteckt?«
Jetzt erst berichtete Zamorra über seine Erlebnisse.
Sein Zuhörer wurde blaß und blässer. Als Zamorra geendet hatte, seufzte er tief auf. Sein Gesicht war voller Verzweiflung und Mutlosigkeit.
»Ich habe es geahnt. Ich habe immer gewußt, daß sich der Fluch bewahrheiten würde. Doch daß es schon so bald sein soll… Mein Gott, was machen wir jetzt? Die Frauen, die Kinder … Der Himmel sei uns gnädig!«
Nach diesem aufschlußreichen Gespräch entschloß Zamorra sich, ins Hotel zurückzukehren. Sicher erwartete ihn seine Assistentin dort schon ungeduldig. Und außerdem war mittlerweile schon früher Nachmittag, und er hatte einen Bärenhunger. Auch ein Geisterjäger mußte von Zeit zu Zeit für sein leibliches Wohl sorgen.
Doch das wichtigste war, daß er Nicole Duval vom Gang der Ereignisse und vom Ergebnis seiner Nachforschungen unterrichtete.
Im dichten Strom der freizeithungrigen Passanten schlenderte Zamorra durch das kleine Städtchen.
Von dem Grauen und den düsteren Ankündigungen schien niemand etwas zu ahnen. Nichts deutete darauf hin, daß diesem malerischen Dorf vor dreihundert Jahren der Untergang prophezeit worden war.
Zamorra konnte sich vorstellen, was geschehen würde, wenn die Voraussage eintreffen sollte. Gar nicht auszudenken. Allein die entstehende Panik würde Hunderten von Menschen das Leben kosten.
Doch noch war das letzte Wort nicht gesprochen.
Er beschleunigte seine Schritte und eilte durch die engen Gassen auf das Hotel zu. Auf der Terrasse waren die Tische dicht besetzt.
Laute Unterhaltungsfetzen und Gläserklirren klangen zu ihm herüber.
Suchend ließ er seinen Blick über die Köpfe der Gäste schweifen.
Nicole Duval war wohl nicht darunter. Zumindest konnte er sie nicht sehen.
Also betrat er die Hotelhalle und ging zur Rezeption.
Begierig, seinem Gast zu helfen, beugte sich der Angestellte hinter der Theke vor.
»Haben Sie die Dame gesehen, die in meiner Begleitung ist? Kann es sein, daß sie sich in ihrem Zimmer aufhält?«
Der Angestellte schüttelte den Kopf.
»O no,
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