0017 - Wolfsnacht
wäre nämlich aufgefallen, daß sich die Blätter der Weinranken, die das Haus überwucherten, lebhaft bogen, obwohl kein Windhauch die Abendschwüle minderte.
Auf dem düsteren Gang, der durch das Haus führte, bewegte sich eine gebeugte Gestalt. Es war der Arzt.
Trotz der fast undurchdringlichen Finsternis fand er sich mit nachtwandlerischer Sicherheit zurecht.
Seine Hand ergriff das Treppengeländer, ohne lange danach zu tasten. Ebenso sicher fand er die erste Treppenstufe. Ohne einmal zu stolpern, stieg er die Treppe hinauf.
Er betrat den Raum, in dem der riesige Stein und der Marmorsessel standen. Nach einer Weile kam er wieder heraus.
Eilig ging er nach unten und näherte sich lautlos der Tür zu dem Zimmer, in dem die Kranke lag, die man ihm in der Nacht gebracht hatte. Er lauschte an der Tür.
Nichts. Sein überempfindliches Gehör vernahm nur regelmäßige Atemzüge. Franca Capolli schlief.
Millimeterweise öffnete der Arzt die Tür. Leise quietschte sie in den Angeln. Franca Capolli zuckte zusammen, öffnete die Augen.
»Wer ist da, bitte melden Sie sich«, fragte ihre schwache Stimme in das Dunkel.
»Ich bin’s«, gab DeZordo zur Antwort. »Haben Sie keine Angst. Ich wollte nur noch einmal nach Ihnen schauen.«
»Aber warum brennt denn kein Licht? Ich kann Sie überhaupt nicht sehen.«
»Das brauchen Sie auch nicht. Hauptsache, ich kann dich genau erkennen. Und so wie ich dich jetzt vor mir liegen sehe, gefällst du mir. Der Meister wird seine Freude haben. So ein schönes Opfer hat er bestimmt noch nie bekommen.«
Beim bösartigen Klang, den die Stimme jetzt bekommen hatte, zuckte Franca unwillkürlich zusammen. Doch ihre Gedanken waren so unklar, und sie konnte sie nicht festhalten. Ihr Denken war gelähmt. Träge hob sie einen Arm in einer ihrer Meinung nach abwehrenden Geste. Kraftlos sank er nach einigen Sekunden wieder herunter.
Mit einem schnellen Schritt war der Arzt bei ihrem Bett. Mit einer schnellen Geste führte er seine Hand über die Augen des Mädchens.
Augenblicklich wurde ihr Atem ruhiger und regelmäßiger. Sie war wieder tief eingeschlafen, und nichts außer dem Doktor hätte sie zu wecken vermocht.
Der Arzt bückte sich, schob seine Arme unter die junge Frau und hob sie hoch. Er schwankte etwas, doch sein Wille war stärker.
Mit schweren Schritten ging er zur Tür, trat hinaus auf den Gang und stieg bald die Treppe empor.
Vor der Tür zu dem Raum, in dem er sich zuvor kurz aufgehalten hatte, blieb er stehen. Wie von Geisterhand bewegt, öffnete sich die Tür.
Ein weiß-grünliches Leuchten fiel auf den Gang. Der Arzt trat in den Raum. Augenblicklich schloß sich hinter ihm die Tür auf die gleiche geheimnisvolle Weise, wie sie sich geöffnet hatte.
Vor dem großen Naturstein sank der Arzt auf die Knie. Mit übermächtiger Kraftanstrengung streckte er beide Arme aus und legte das Mädchen darauf nieder. Dann neigte er den Kopf und verharrte bewegungslos, wobei er halblaut Beschwörungsformeln murmelte.
Dann richtete er sich wieder auf. Er schaute sich kurz um und schlurfte mit schweren Schritten zu der Nische, in der der Marmorsessel stand.
Diesen packte er und schob ihn vor den Altar – eine Leistung, die man diesem alten Mann normalerweise kaum zugetraut hätte. Doch er war kein normaler Mensch. Er stand mit dem Teufel im Bunde.
Ihm mußte er gehorchen, und er verlieh ihm die Kraft, seine Befehle auszuführen.
Als der Sessel richtig stand, trat DeZordo wieder vor den Altar. Er hob die Hände in einer beschwörenden Geste.
»Fürst der Hölle, erhöre mich. Dein Reich soll zu uns kommen. Ich bin dein Diener. Du hast mich als Säugling vor dreihundert Jahren gerettet. Jetzt werde ich dir helfen. Gib mir die Kraft, das Werk zu vollbringen. Noch ein Tag, dann ist es soweit. In der nächsten Nacht werde ich dir die Opfer darbringen und werde dich rufen, auf daß du deinen Gläubigen erscheinst. Doch vorher werden wir den Fluch meines Vaters erfüllen. Eine schreckliche Orgie des Blutes und des Todes werden wir in den Gassen der Stadt feiern. Und das alles dir zu Ehren. Erhöre mich, Satan. Bald wirst du mir erscheinen!«
Das Leuchten, das den Wänden zu entströmen schien, nahm an Intensität zu. Es wurde grell und greller. Es schien alles verzehren zu wollen, was sich in seiner Nähe aufhielt. Wenig später verblaßte es wieder.
Ganz dicht trat DeZordo an den Altarstein heran. Er nahm das Mädchen, das von der ganzen Zeremonie nichts mitbekommen hatte, wieder
Weitere Kostenlose Bücher