0019 - Die Schreckenskammer
sie seufzte leise, und dann schlug sie wieder die Augen auf.
»Hallo«, murmelte sie. »Wo – wo bin ich?« Und als ihr Blick sich klärte: »Sie, Professor?«
»Jessica!« flüsterte Jim. »Jessie! Meine Jessie…«
»Jim? Was machst du hier? Wo bin ich überhaupt? Was ist geschehen, was…«
»Ich erkläre es Ihnen später«, sagte Zamorra lächelnd. »Bleiben Sie jetzt liegen und ruhen Sie sich ein wenig aus. Sie sind müde, nicht wahr?«
»Ja. Aber was…«
Sie verstummte.
Denn im selben Moment klang Nicoles leise, erregte Stimme herüber. »Chef! Chef, ich glaube, sie kommt zu sich.«
Zamorra sprang auf. Mit zwei Schritten stand er bei Anabel, die sich allmählich wieder regte. Neben ihr ging er in die Knie und versetzte wieder das Amulett in Schwingungen, und während Jim leise auf Jessica einsprach, versuchte der Professor zum zweitenmal, jenen unheilvollen Einfluß aufzuheben, dessen Natur er nicht kannte.
Es gelang ihm nicht.
Nicht bei Anabel…
Er konzentrierte sich, versuchte es wieder und wieder, bot die ganze Kraft seines Willens auf, aber alle Anstrengungen blieben vergeblich. Anabel reagierte nicht. Ihr Blick blieb so starr, wie er vorher gewesen war. Zamorras beschwörende Stimme vermochte sie nicht zu beruhigen. Sie lehnte an der Wand, zusammengekauert wie ein in die Enge getriebenes Tier, sie sah durch alles hindurch und schien ihre Umgebung nicht wahrzunehmen.
Zamorra gab auf.
Anabel Verton stand nicht unter Hypnose, soviel war klar. Eine Hypnose, so wie bei Jessica, hätte er aufheben können. Irgend etwas anderes mußte mit dem Mädchen geschehen sein. Etwas Schlimmeres, Tiefergreifendes.
Der Professor streifte mechanisch das Amulett über den Kopf, kam auf die Beine, und dabei glaubte er wie in einer Vision den Operationssaal im Keller von Farlund Castle vor sich zu sehen.
War Anabel den teuflischen Experimenten von Dr. Calgaro zum Opfer gefallen?
Hatte er sie operiert? Irgend etwas an ihrem Gehirn verändert, das sich nicht wieder rückgängig machen ließ?
Und war Jessica vielleicht nur deshalb davongekommen, weil Calgaro noch keine Zeit gefunden hatte, sich mit ihr zu beschäftigen und…
»Chef!« unterbrach Nicoles Stimme seine Gedanken.
Er hob den Kopf. Nicole machte eine Geste in Anabels Richtung.
Das Girl kauerte immer noch am Boden, aber eine seltsame Veränderung war mit ihr vor sich gegangen.
Ihre Haltung straffte sich.
Sekundenlang verharrte sie reglos, schien auf etwas zu lauschen, das nur sie hören konnte – dann stand sie auf. Die anderen Menschen im Zimmer schien sie überhaupt nicht wahrzunehmen. Ihr Blick hing an der offenen Tür. Wie eine Marionette, die an unsichtbaren Fäden gezogen wird, durchquerte sie den Raum und betrat die Diele.
Nicole holte Luft, wollte etwas sagen, doch Zamorra unterbrach sie mit einer Geste.
Seine Augen waren schmal.
Gespannt beobachtete er das Girl, das zielstrebig auf den Ausgang zuschritt. Sie passierte die Tür, ließ sie hinter sich offen und glitt geschmeidig die wenigen Stufen hinunter.
»Chef!« flüsterte Nicole. »Wir müssen sie aufhalten, wir müssen…«
»Nein!« Zamorra schüttelte den Kopf. Auch er hatte die Stimme gesenkt. »Wir werden sie nicht aufhalten, wir werden versuchen, ihr zu folgen.« Und mit einem tiefen Atemzug fügte er hinzu: »Ich bin sicher, daß sie uns zu Giordano Calgaro führen wird…«
***
Stetig und unaufhaltsam stampfte der Cyborg durch das trübe Grau des Nachmittags.
Alban Marrics Augen glitten beständig umher, hellwach und aufmerksam. Immer noch glühte der Haß in ihm, trieb ihn vorwärts wie eine unerbittliche Peitsche – aber ein Teil seiner Gedanken arbeiteten mit glasklarer Vernunft. Er wußte, daß er sich nicht sehen lassen, niemandem begegnen durfte. Kurz hinter Redhorn hatte er die Straße verlassen, war durch die Wälder marschiert, und jetzt näherte er sich Farlund Castle in weitem Bogen.
Zwischen den Bäumen hingen bereits die ersten Schatten einer frühen Dämmerung, als das Gebäude vor ihm auf dem Hügel auftauchte.
Marric verlangsamte seine Schritte – oder besser die Schritte der Maschine, die er mit seinen Gedanken lenkte.
Vorsichtig, so lautlos wie möglich, bewegte er sich zwischen den Bäumen. Auch diesmal spürte er den magischen Bann, spürte das winzige Zögern angesichts einer unsichtbaren Sperre, doch Sekunden später überwand er das Hindernis ohne die geringsten Schwierigkeiten.
Er wußte, daß sein Gegner nach Farlund Castle
Weitere Kostenlose Bücher