002 - Der Hexenmeister
sagen. Wahrscheinlich hat er heimlich eine der Figuren mitgenommen. Nun, die Dinge entwickelten sich sehr schnell zur Katastrophe. Der Feuerball, den Pater Hieronymus wegen seiner Trunkenheit nicht zu lenken vermochte drang durch ein offenes Fenster in ein Haus ein. Es gab eine Explosion, und gleich darauf schlugen Flammen aus dem Gebäude. Die Menge heulte auf. Während Pater Hieronymus noch am Fenster große Reden schwang, wurden feindselige Rufe laut. ›Das ist ein Hexenmeister!‹ ›Er hat das Haus angesteckt.‹ ›Schlagt ihn tot, den Hexenmeister!‹ Einige Leute waren zur Wache gelaufen. Ich hörte das Brausen, das immer in Gegenwart der unsichtbaren Kräfte zu vernehmen ist. Auch die Schaulustigen um uns herum hörten es und fürchteten sich. Eine Frau kreischte: ›Rette sich wer kann! Er hetzt alle seine Dämonen und bösen Geister auf uns!‹
Mehrere Männer bildeten eine Kette und reichten Eimer mit Wasser zu, um den Brand zu bekämpfen. Die Wache kam, als wir gerade versuchen wollten, zu Pater Hieronymus hinaufzugehen, um ihn zum Schweigen zu bringen und die entfesselten Kräfte durch die Formel zum Stillstand zu bringen. Es war aber schon zu spät. Die Wache erschien, und die Menge deutete auf Pater Hieronymus. Während die Soldaten ins Haus eindrangen und ihn verhafteten, johlte die Menge und schrie. Pater Hieronymus rief: ›Ich tue es doch nur zu eurem Besten! Das ist doch nur gut für euch!‹ Die Menschen schrieen zurück: ›Tod dem Hexenmeister! Tötet ihn! Er soll verbrannt werden.‹
Michel Dosseda schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Mein Gott, mein Gott! Das ist ja schrecklich. Die Kräfte sind jetzt entfesselt und ohne Lenkung. Hoffentlich geht nun nicht ganz Paris in Flammen auf!«
Hervé beruhigte uns. »Die Straße leerte sich rasch. Die Menge folgte der Wache, die Pater Hieronymus abführte. Ich schlich mich in seine Wohnung. Dort waren schon einige Plünderer, die sich die Taschen vollstopften. Auf dem Fenstersims stand hinter dem Vorhang eine von Euren Figuren. Mit leiser Stimme sprach ich die Formel aus, durch die alle unsichtbaren Kräfte zurück in das Metall gezwungen werden. Hier ist die Figur.«
Der Meister nahm sie sichtlich erleichtert in Empfang.
»Dieser Vorfall wird bestimmt Folgen für uns haben«, meinte Jean de la Brune.
»Ich hoffe nicht«, erwiderte Jacques Vel. »Natürlich hängt alles von Pater Hieronymus ab und von den Leuten, die ihn vernehmen. Wenn man ihn den Würdenträgern der Kirche übergibt, wird es ihm sicher nicht schlecht ergehen. Diese wissen ja, dass er ein ehrenwerter Mann ist – dass er manchmal ein Glas zuviel trinkt, wird ihnen auch nicht unbekannt sein – und sie werden sicher Gnade walten lassen. Bei uns ist die Inquisition ja immer sehr viel milder vorgegangen als zum Beispiel in Spanien oder Italien. Wenn man jeden verbrennen würde, den das Volk als Hexenmeister oder Zauberer anklagt, müsste man jede Woche eine Hinrichtung veranstalten. Außerdem kenne ich einige Kirchenfürsten – eben die, mit denen ich mich wegen unserer Pläne in Verbindung setzen wollte. Sie werden bestimmt für ihn eintreten. Man wird zu verhindern wissen, dass ihm etwas geschieht. Allerdings stünde die Sache sehr viel schlimmer, wenn man ihn der weltlichen Gerichtsbarkeit übergeben würde. Sollten sich die Handlanger des Hofes mit ihm beschäftigen, könnte es ihm schlecht ergehen. Die weltlichen Würdenträger richten sich eher nach dem Willen des Volkes, damit keine Unruhen entstehen.«
»Glaubt ihr, dass man ihn auch Foltern wird?« fragte der Meister.
»Ich fürchte, ja«, erwiderte Patrick. »Wenn tatsächlich die Pest ausbricht, wird in der Stadt Angst und Entsetzen herrschen, und diese Angst wird zu allen möglichen Exzessen der Brutalität führen. Aber dazu kommt noch etwas anderes. Ich folgte der johlenden Menge, die Pater Hieronymus begleitete, als er von der Wache abgeführt wurde. Plötzlich näherte sich ein Mann, ein zerlumpter Bauer, der Gruppe und schrie: ›Das ist er! Ich erkenne ihn wieder an seiner großen Nase und den Hängebacken. Er ist ein Hexenmeister. Ich habe ihn gesehen, wie er mit anderen in einem abgelegenen Tal gezaubert hat. Einen großen Feuerball hat er aufsteigen lassen. Ja, er ist ein Hexenmeister. Bringt ihn um, sonst sind wir alle verloren.‹ Die Menge fing an zu schreien: ›Bringt ihn um! Verbrennt ihn! Ins Feuer mit ihm! Wir müssen die anderen Zauberer suchen. Sie haben uns die Pest geschickt.‹ Pater
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