002 - Der Hexenmeister
Mögliche, um den Meister zu retten. Sie mussten dabei jedoch vorsichtig sein, damit man sie nicht als Mittäter verhaftete.
Wir kannten viele einflussreiche Männer, die bereit waren, uns zu helfen. Zahlreiche Professoren der Universität befanden sich unter ihnen. Auch unter den Geistlichen gab es genug, und sogar einige hohe Adlige bemühten sich für den Meister – doch alles war umsonst.
Hoffnung und Verzweiflung wechselten in unseren Herzen von einer Stunde zur anderen. Fast glaubten wir an ein Wunder, als der König in einem seiner seltenen lichten Augenblicke befahl, ihm Michel Dosseda vorzuführen.
Wahrscheinlich waren ihm die Beteuerungen des Meisters, der bestritt, ein Hexenmeister zu sein, übermittelt worden. Wir wussten genau Bescheid, was in dem Gefängnis von Michel Dosseda geschah, weil Paul de Horsch den Verhören beiwohnte. Von Anfang an hatte der Meister erklärt, dass er weder mit dem Teufel im Bund stehe, noch ein Hexenmeister sei, sondern einfach eine wissenschaftliche Entdeckung von größter Bedeutung gemacht habe.
Er bat darum, einer Gruppe ausgewählter Männer seine Experimente vorführen zu dürfen. Er verlangte, den König zu sprechen. Doch Karl VI. war sofort, nachdem er den Wunsch geäußert hatte, den Meister zu sehen, wieder in geistige Umnachtung verfallen.
»Wenn Pater Hieronymus nicht gestorben wäre«, sagte Jean de la Brune, der uns die neuesten Informationen brachte, »hätte man sicher ihn verbrannt, und dann hätten wir den Meister vermutlich retten können. Doch jetzt verlangt das Volk ein anderes Opfer. Zu allem Unglück greift auch noch die Pest um sich. Die Schuld dafür schiebt die Bevölkerung dem Hexenmeister in die Schuhe. Heute Morgen wurden zwei neue Fälle gemeldet. Wie wir befürchteten, hat man den Meister gefoltert, damit er eingesteht, mit dem Teufel im Bunde zu sein, und die Namen seiner Komplicen angibt. Man hat ihn aber nicht so furchtbar gequält wie Pater Hieronymus. Sie wollen nicht, dass er ihnen ebenfalls unter den Händen stirbt. Sie möchten ihn auf den Scheiterhaufen sterben lassen, damit das Volk zufrieden ist. Der Meister hat nichts verraten. Er hat eine eiserne Charakterstärke bewiesen. Unglücklicherweise hat man ihn den drei Bauern gegenübergestellt, die uns in dem Tal gesehen haben, als der Feuerball am Himmel stand. Diese dummen Tröpfe haben ihn erkannt und ausgesagt, dass er mit einer Reihe anderer Hexenmeister teuflische Kunststücke vollbrachte. Ihr könnt euch vorstellen, dass durch solche Erklärungen das Volk nur noch aufgebrachter wird.«
Bald mussten wir einsehen, dass nur noch ein Wunder den Meister retten konnte.
Jeden Abend ging ich hinaus zu dem Haus vor der Stadt, unserem geheimen Schlupfwinkel am Fluss. So konnte ich wenigstens Laura sehen. Sie zeigte sich erstaunlich beherzt in ihrem Unglück. Das traf auch für Lionnel zu. Jacques Vel war völlig verzweifelt. Er hatte eine Frau und sechs Kinder. Wir unterstützten sie, aber die Trennung von seiner Familie ging ihm trotzdem sehr zu Herzen. Patrick war, als Bettler verkleidet, noch einmal zu seiner jungen Frau und seinem Kind zurückgekehrt. Auch damals schon war Paris eine große Stadt, in der niemand auffiel. Ausweise gab es noch nicht.
Als Michel Dosseda verhaftet wurde, hatte sich Laura zufällig im Keller befunden und nichts von dem bemerkt, was geschah. Kurz nachdem man ihren Onkel abgeführt hatte, war sie über die Geheimtreppe wieder in das Haus hinaufgestiegen. Als sie die Falltür anhob, hörte sie ungewohnte Geräusche. Diebe und Plünderer waren in das Haus eingedrungen. Da war Laura rasch in den Keller zurückgekehrt und hatte sich durch den Geheimgang ins Freie retten können.
»Es ist mir selbst unbegreiflich, dass ich noch genug Kraft fand, hierher zu kommen«, sagte sie zu mir. »Das, was ich hörte, als ich durch Paris ging, war einfach zu entsetzlich.«
Wenn der Schmerz sie allzu sehr niederdrückte, legte ich meinen Arm um sie, und sie weinte sich an meiner Schulter aus. Wenn wir allein gewesen wären, hätte ich ihr meine Liebe gestanden. Wir ahnten beide, dass der Meister nicht mehr zu retten war.
Selbst wenn ich tausend Jahre leben würde, könnte ich nie den 14. Mai 1408 vergessen. Die Nacht war entsetzlich gewesen. Ich hatte Laura, Lionnel und Patrick gegen zehn Uhr abends verlassen, um in meine Wohnung zurückzukehren. Hervé und Jean de la Brune begleiteten mich. Wir waren in größter Sorge, denn wir hatten gehört, dass man
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