002 - Der Unheimliche vom Todesschloß
ihnen.«
»Monsieur, das ist nicht Ihr Ernst. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen wir noch nichts wissen. Und Gespenster…«
»Unsinn. Wissenschaftlich läßt sich nicht erklären, warum es welche geben soll. Gespenster existieren nur in der Einbildung der abergläubischen Menschen.«
»Monsieur, Sie täuschen sich…«
»Wetten, daß ich heute nacht um Mitternacht zum Chateau hinaufgehen werde und mich nicht fürchte, Jacinthe?«
»Versündigen Sie sich nicht, Monsieur. Es könnte Ihr Tod sein. Vielleicht ist dieses Ungeheuer auch schuld daran, daß der alte Gaston Galaire verschwunden ist?«
Adrien staunte. Nie hätte er gedacht, daß dieses appetitliche Wirtstöchterlein soviel Phantasie haben könnte.
»Und ich gehe doch zum Chateau hinauf«, scherzte er. »Kommen Sie mit, Jacinthe, ja?«
»Monsieur, sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Ich nähere mich dieser schrecklichen alten Burg nie – und vor allem nicht bei Nacht.«
Ihre Furcht machte Adrien Spaß. Wenn ich ihr jetzt noch erzählen würde, daß ich Blut aus dem alten Citroen der Rattigans tropfen sah, würde sie ganz närrisch werden, dachte er.
»Ich tu’s. Um was wollen wir wetten, Jacinthe? Um einen Kuß?«
»Bitte, nehmen Sie es nicht so leicht. Und gehen Sie heute nacht nicht da hinauf, Monsieur. Bitte…«
»Und ich tu’s doch.«
»Die Bluthunde werden Sie zerfetzen.
Sie sind sehr scharf. Oder das Ungeheuer…«
Adrien Colombier lachte brüllend los. »Jacinthe, Sie sind süß! Ich bekomme also einen Kuß, wenn ich lebend vom Chateau zurückkehre?«
Jacinthe sah ihn schmerzerfüllt an.
»Ich gebe Ihnen auch den Kuß, Monsieur, wenn Sie von Ihrem Vorhaben ablassen.«
»Nein, nein – ich will den Kuß als Belohnung haben, dann ist er süßer.« Er blinzelte ihr zu. »Und ich werde Ihnen genau berichten, Jacinthe, was für Beobachtungen ich da oben beim Chateau gemacht habe.«
***
Die längliche Kiste, in der die Webster ihre »Waren« verschickte, bestand aus dickem Kiefernholz. Um einen Sarg vorzutäuschen, hatte man ihn außen mit einer Folie überklebt, die Eiche vortäuschte. Er wirkte jetzt ein bißchen kitschig, aber genau das bezweckte die Webster. Wenn man so offensichtlich eine Parallele zu einem Sarg zog, war man gewiß nicht sehr überrascht, eine lebensgroße, täuschend echte menschliche Gestalt darin zu finden.
Der Lack auf Gesicht und Körper der Giselle Pinier war steinhart geworden. Als Gwendolyn Millers Wachsfigur würde sie auf die Reise über den Kanal gehen.
Der Sarg bekam eine Bretterverschalung und wurde sorgfältig beschriftet. Er sollte in Marseille per Bahnfracht aufgegeben werden. Die Webster hatte sich für diese große Hafenstadt entschlossen, weil sich dort am leichtesten alle Spuren verwischen ließen. Der Absender lautete auf eine Firma in Lyon.
Wie immer wuchteten Gautier und der schmächtige Rattigan den Rücksitz des alten Citroen aus dem Wagen. Jetzt konnten sie die bretterverschalte Kiste halb in den Kofferraum, halb in den Fond legen.
»Beeil dich endlich, Rattigan«, befahl die Webster. »Du fährst einige Stunden bis Marseille. Und du willst doch nicht, daß die Frachtannahme geschlossen ist, wenn du dort eintrudelst?«
Rattigan fuhr ab. Der Citroen schaukelte über die Zugbrücke der alten Burg, die über den tiefen Graben führte, und war bald den Blicken der Webster entschwunden.
Sie drehte eigenhändig an dem Gewinde die Ketten der Zugbrücke hoch und ging langsam ins Haus zurück.
Die heutige Post hatte ihr einige Rätsel aufgegeben. Vor allem dieser eine Brief.
Ich wünsche eine lebensgroße Wachsfigur der großen Diva Mad e leine Riquette. Ich lege Ihnen ein Foto und die Maße bei. Ich ho f fe, daß Sie die atemberaubende Schönheit dieser Frau richtig n a chempfinden können. Sie wirkt durch ihr Lächeln, durch die Glut ihrer Augen. Ein Abendkleid lege ich bei. Ich bitte um Ang a be, wann Sie liefern können.
Ronald La Roche
Die Webster hatte alle verfügbaren Zeitungen durchsucht. Von einem plötzlichen Ableben des Revuestars stand nichts darin.
Ausgerechnet Madeleine Riquette, dachte sie.
Und da hatte sie einen teuflischen Plan. Sie mußte ihn sofort mit Rattigan besprechen, wenn er heimkehrte.
Eliza Webster wollte nicht nur reich sein und Macht spüren. Es machte ihr auch Freude, andere Menschen zu quälen. Keiner, der sie nicht kannte und sie betrachtete, ahnte, daß ihre Schönheit und Eleganz nur eine
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