0022 - Die Hexe von Java
das nur noch nicht eingestehen.
»Bete!« bellte der Diakon aggressiv.
Henry Colfax wollte es tun. Gehetzt suchte er nach Worten. In seinem Kopf ging es drunter und drüber. Wahadin verwirrte ihn, zeigte ihm, daß er in diesem schwarzen Tempel kein Gebet verrichten konnte.
Colfax war entsetzt.
Er konnte das nicht verstehen.
Er, der alle Gebete der Kirche sogar rückwärts aufsagen konnte, wußte mit einemmal nicht mehr, wie man betete.
»Vater…«, begann er stockend. Aber mehr fiel ihm nicht ein. »Vater…«, begann er wieder. Sein Geist bäumte sich wild und verzweifelt gegen die Kraft des Bösen auf, die kein Gespräch mit Gott zuließ.
»Ja! Ja!« schrie Wahadin vergnügt.
»Ja. Vater! Welchen Vater meinst du, he? Deinen eigenen?«
Colfax brüllte schmerzlich auf. »Laß meine Eltern aus dem Spiel! Ich will nicht, daß du so über sie redest!« schrie Colfax, und seine Stimme überschlug sich dabei.
»Aber warum denn?« höhnte Wahadin. »Warum willst du das nicht?«
»Niemand darf meine Eltern in den Dreck ziehen! Das dulde ich nicht!«
»So. Duldest du nicht!«
»Nein! Nein! Nein!«
»Dann verhindere es!« knurrte der Diakon des Teufels spöttisch. »Na los doch! Tu etwas dagegen, Colfax. Und wie willst du ungesehen machen, daß ich so über deine miesen Eltern rede, he?«
Colfax schluchzte. Er war toll vor Wut. Er wollte sich die Ohren zuhalten, um sich die Gemeinheiten dieses Kerls nicht mehr anhören zu müssen, aber er konnte die Arme nicht heben. Er war gezwungen, all den schrecklichen Spott über sich ergehen zu lassen.
Als es ihm zu viel wurde, fing er zu brüllen an. Er wollte Wahadin überschreien, um so nicht mehr zu hören, was er sagte.
Doch der Diakon überschrie seine Stimme mit Leichtigkeit und setzte seine widerwärtigen Beleidigungen fort.
Weinend schrie Colfax: »Hör auf damit! Hör bitte endlich auf damit! Ich kann nicht mehr! Ich bin am Ende!«
Wahadin lachte gehässig. »Und wo sind die, die dir beistehen sollten, Henry Colfax? Es gibt sie nicht. Du hast dein Leben lang zu jemandem gebetet, den es nicht gibt und nie gegeben hat. Nur der Teufel existiert wahrhaftig. Du siehst in mir seinen würdigen Vertreter, und du kannst dich glücklich preisen, daß meine Wahl auf dich gefallen ist. Ich werde aus dir einen gemeinen, grausamen Dämon machen – und du wirst fortan dem Satan dienen und deine Gebete an ihn richten!«
»Niemals! Das werde ich niemals tun!«
»Ich halte jede Wette dagegen!« schnarrte Wahadin. Sein gläserner Arm hob sich. Grelle Flämmchen tanzten auf der Klinge des Zeremoniendolchs. »Ich werde das Gute aus deinem Körper vertreiben und das Böse in dein Herz pflanzen. Du wirst durch diesen Dolch sterben. Aber du wirst nicht tot sein. Ein neues Leben wird dich beseelen. Ein Leben, das ausschließlich der Hölle geweiht sein wird!«
Der gläserne Arm sauste herab.
»Herr!« brüllte Henry Colfax bestürzt. »Herr, steh mir bei!«
Aber seiner Stimme war es nicht möglich, den Tempel zu verlassen, dafür hatte Wahadin gesorgt. Der letzte Hilfeschrei des Australiers blieb ungehört, so, als wäre er niemals ausgestoßen worden.
Tief senkte sich die Klinge des Dolchs in die Brust des Opfers.
Henry Colfax regte sich nicht mehr. Die magischen Fesseln fielen von ihm ab. Er brauchte nicht mehr auf den Felsen niedergehalten zu werden. Colfax’ Augen flatterten. Er atmete nicht mehr. Sein Herz, durchbohrt von der Klinge des Zeremoniendolchs, schlug nicht mehr. Und doch konnte er nach wie vor sehen, was geschah.
Seine Angst war verflogen.
Er konnte plötzlich wieder glasklar denken.
Er sah in Wahadin keine Bedrohung mehr. Der Diakon des Teufels war für ihn kein Feind mehr, sondern war ein Mann, zu dem er sich hingezogen fühlte, den er achtete.
Todesfurcht, Entsetzen, Grauen – es gab sie nicht mehr für Henry Colfax. Er fühlte sich gut, wußte, daß er in diesem Moment zu einem vollwertigen Mitglied dieser gefährlichen Teufelsgemeinschaft wurde. Das machte ihm aber nichts aus. Im Gegenteil. Er begrüßte es sogar.
Was Colfax sah, vermochte ihn nicht zu erschrecken.
Sein Blut schien vom Dolcharm des Diakons aufgesogen zu werden. Er erkannte, wie sein roter Lebenssaft durch den gläsernen Körper des Diakons pulsierte. Im Austausch dafür fühlte er eine Flüssigkeit in seine Adern einströmen, die heiß und schwer wie glühende Lava war. Sie erfüllte ihn mit einer Kraft, über die er in seinem früheren Leben niemals verfügt hatte.
Wahadin
Weitere Kostenlose Bücher