0022 - Die Hexe von Java
der nächste Schlag in Johns Deckung hängen.
Der Geisterjäger erholte sich etwas.
Er versuchte, sich aus der Defensive herauszufighten.
Ein Beobachter des Kampfes hätte annehmen müssen, John hätte den Verstand verloren. Er befand sich mutterseelenallein auf diesem Dach und boxte keuchend mit der Luft.
Sein Gegner schlug immer wieder hart und brutal zu.
Ein Treffer an der Schläfe ließ John rückwärts torkeln. Der Unsichtbare folgte ihm. John bezog schwere Prügel, gegen die er sich nicht wirkungsvoll genug schützen konnte.
Alle seine Entlastungsangriffe verpufften wirkungslos. Der andere war nicht nur nicht zu sehen, er war auch nicht zu packen. John versuchte, den Kerl mit Bannsprüchen sichtbar zu machen, doch das klappte nicht. Der Unsichtbare hämmerte ihn immer näher auf den Rand des Daches zu. John hatte längst begriffen, was das werden sollte, und er begann sich ernsthaft zu fragen, ob gegen diesen verdammten Spuk wirklich kein Kraut gewachsen war.
Ein schwerer Treffer nahm ihm alle Luft.
Er japste.
Zwei Meter noch bis zum Dachrand.
Der Unsichtbare schien es so schnell wie möglich hinter sich bringen zu wollen. Er trommelte mit seinen knochenharten Fäusten auf John Sinclair ein. Ungestüm trieb er ihn zurück.
Ein Meter.
John sprang zur Seite.
Aber der Kerl schien damit gerechnet zu haben. Seine Faust war zur Stelle. Sie traf John am Jochbein. Die Wucht des Schlages riß ihn zurück. Er ruderte mit den Armen. Hinter ihm ging es sechs Etagen in die Tiefe. Das wäre das sichere Ende gewesen. Irgendwie schaffte es der Geisterjäger, die Balance wiederzuerlangen. Plötzlich besann er sich des silbernen Kreuzes, das er um den Hals trug.
Ehe der Unsichtbare ihn erneut angreifen und in die Tiefe jagen konnte, riß er mit beiden Händen sein Hemd auf.
Das Silberkreuz reflektierte den schwachen Schein des Mondes.
Ein wütendes Heulen raste über das Dach und jagte von John Sinclair weg. Er schraubte sich in den schwarzen Nachthimmel hinein und verlor sich da nach ganz wenigen Augenblicken.
John trat erleichtert vom Rand des Daches weg. Er stieß einen leisen Pfiff aus und sagte zu sich selbst: »Junge, diesmal bist du aber haarscharf darum herumgekommen!«
***
Mitternacht.
Sie waren alle in den verfallenen Urwald gekommen – Tari und ihre Getreuen. Sie würden in Zukunft nicht immer dabeisein, wenn Wahadin aus einem Menschen mit einer Seele einen Dämon machte. Diesen Anfang einer neuen Schreckensserie wollten sie sich unter keinen Umständen entgehen lassen.
Wahadin freute es, daß Tari ihre sechs Freunde mitgebracht hatte.
Der Diakon des Teufels arbeitete gern vor Publikum. Er liebte es, sich vor den gaffenden Menschen zu produzieren. Es machte ihm Spaß, ihnen zu zeigen, wie grausam er war und welch ungeheure Fähigkeiten in ihm schlummerten.
Henry Colfax lag auf jenem mächtigen Steinblock, auf dem der Satan die alte, häßliche Hexe zu einem jungen, hübschen Mädchen werden ließ.
Magische Fesseln verhinderten, daß er sich bewegen, geschweige denn aufrichten konnte. Colfax hatte keine Ahnung, wie er hierhergekommen war. Es klaffte eine große Lücke in seiner Erinnerung.
Wenn er zurückdachte, fiel ihm ein, daß er mit Katherin nach Hause gekommen war. Er hatte Jane Collins und John Sinclair mit zwei Männern, die er nicht kannte, auf der Hotelterrasse sitzen sehen. Als sich Katherin nicht wohl fühlte, hatte er ihr Baldrianperlen aus dem Bad holen wollen.
Dann riß der Erinnerungsfaden ab. Es war Colfax in diesem Moment nicht möglich, daran anzuknüpfen.
Schwarz und unheimlich war die Nacht.
Wahadin sprach ein schwarzes Dankgebet, das an den Höllenfürsten gerichtet war.
»Herr der Finsternis und allen Übels, ich bin so froh, daß du mich aus jenem nassen Grab geholt hast!« rief der Diakon des Teufels mit lauter, donnernder Stimme. »Ich, Wahadin, verspreche dir, meine Kräfte noch mehr als früher in deinem Sinne gegen das Gute einzusetzen. Ich werde dafür sorgen, daß Djakarta die erste Teufelskolonie wird. Viele andere werden folgen, sobald der Keim des Bösen in dieser Stadt aufgegangen ist. Surabaja, Bandung, Bogor werden wir an uns reißen. Ein Heer von Dienern wird dir zur Verfügung stehen. Bald wird ganz Java dir gehören. Dann werden wir auf Sumatra übergreifen, Borneo und Celebes werden von uns überschwemmt werden. Unser Siegeszug wird nicht aufzuhalten sein… Und mit diesem Menschen – er ist der reinste und gläubigste, den ich finden konnte –
Weitere Kostenlose Bücher