0025 - Das Geheimnis des Spiegels
eingepackt.«
»Aber warum denn?«
»Weil ich es will.«
»Kannst du mir den Grund nennen…?«
»Nein.«
»Wie soll sich denn ein Kunde für das gute Stück interessieren, wenn es eingepackt bleibt?« fragte Norma ärgerlich. Sie begab sich zum Schreibtisch entnahm der obersten Lade eine Schere und packte den Spiegel ohne das Einverständnis ihres Mannes aus.
Barbazon wandte den Kopf. Er wollte den Spiegel nicht sehen. Er hatte Angst davor. Entsetzliche Angst.
Norma beugte sich über das Glas. Sie sah ihr Spiegelbild, und sie kam sich schöner vor als sonst. Der Spiegel schmeichelte ihrem Aussehen. Er verschluckte viele ihrer Falten und ließ sie schlanker erscheinen, als sie tatsächlich war.
Kein Wunder, daß sie den Spiegel selbst haben wollte. Allan Barbazon erschrak zutiefst, als Norma ihm das sagte. Er starrte seine Frau entgeistert an.
Sein Atem ging schnell. Er schüttelte heftig den Kopf. »Kommt nicht in Frage, Norma. Wir werden diesen Spiegel auf gar keinen Fall behalten.«
»Er gefällt mir aber.«
»Wir haben keinen Platz für ihn.«
»Doch. In der Diele«, behauptete Norma.
»Ich will ihn nicht haben. Er… er paßt nicht in unsere Wohnung. Er… er paßt nicht zu unseren Möbeln…«
»Finde ich absolut nicht.«
Allan Barbazon erdachte sich dutzend fadenscheinige Ausreden, die Norma alle im Handumdrehen entkräftete. Da kehrte er das Familienoberhaupt hervor und sagte mit lauter Stimme: »Der Spiegel wird verkauft, basta!«
Er ahnte nicht, daß Norma von dem Spiegel in einen magischen Bann gezogen worden war. Die Frau war entschlossen, sich nicht mehr davon zu trennen. Wenn es sein mußte, würde sie darum kämpfen.
Barbazon warf einen groben Jutesack über den Spiegel und schickte Norma aus dem Verkaufsraum. Aber sie kam wieder. Nachts. Sie stahl sich heimlich aus dem Bett und aus dem Schlafzimmer. Die Wohnung der Barbazons lag direkt über dem Antiquitätenladen.
Eine enge Wendeltreppe führte von dort ins Geschäft. Norma war maßlos aufgeregt. Sie fror. Sie konnte es kaum erwarten, den Spiegel abzudecken und sich wieder darin zu betrachten.
Ihr Herz klopfte heftig. Auf nackten Füßen schlich sie die Stufen der Wendeltreppe hinunter. Sie rieb sich die nackten Oberarme, während sie mit wehendem Nachthemd durch den Laden eilte.
Plötzlich hielt sie mitten in der Bewegung inne. Was hatte sie irritiert? Ein Geräusch? Sie lauschte. Und da vernahm sie es wieder. Diesmal ganz deutlich.
Ein gespenstisches Keuchen schwebte durch den Raum. Jetzt hörte Norma jemanden stöhnen. Zaghaft machte sie den nächsten Schritt.
Mit großen rollenden Augen sah sie sich gespannt um. »Ist da jemand?« Es klang wie geflüstert, war kaum zu hören. »Ist… da… jemand?«
Keine Antwort.
Sollte sie umkehren? Bleiben? Weitergehen? Sie nagte an ihrer Unterlippe, war unschlüssig, bekam es allmählich mit der Angst zu tun. Der Spiegel übte auf sie eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus.
Es war ihr unmöglich, kehrtzumachen und in ihr Bett zurückzugehen.
Sie merkte, wie sich ein geisterhaftes Brausen in ihrem Kopf festsetzte und alle Bedenken zerstreute.
Da war auch plötzlich ein Befehl, sie solle weitergehen. Norma Barbazon konnte gar nicht anders. Dort, wo der Spiegel lag, war der Verkaufsraum auf eine geheimnisvolle Weise erhellt.
Die Luft schien voll flirrender Silberpartikelchen zu sein. Norma erkannte, daß der Spiegel unter dem groben Gewebe des Jutesacks eigenartig strahlte. Sie ging aufgeregt darauf zu.
Das Keuchen und Stöhnen wurde immer lauter, doch Norma fürchtete sich nicht mehr davor. Sie wußte mit einemmal, daß sie keine Angst zu haben brauchte. Die geheimnisvollen Kräfte, die sich in diesem Spiegel befanden, waren ihr anscheinend gut gesinnt.
Sie empfing den Befehl, den Jutesack fortzunehmen. Ohne zu zögern streckte sie die Hand danach aus…
***
Oberinspektor John Sinclair hatte einen dicken Wälzer vor sich liegen und las darin mit wachsendem Interesse. Das Buch berichtete über wahre Fälle.
Das Kapitel, das der große blonde Mann gerade las, behandelte das Thema Medusa. Das ist jenes Weib aus der griechischen Mythologie, das Schlangen auf dem Haupt trägt und jeden Menschen, der ihr in die Augen sieht, zu Stein werden läßt.
In Spanien war vor fünfzehn Jahren angeblich ein solches Schreckensweib wieder aufgetaucht. Es hatte sich unter der Bevölkerung viele Opfer geholt, ehe ein beherzter Mann ihr den Kampf ansagte.
Er trat ihr mit einem Spiegel entgegen,
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