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0027 - Die Grotte der Gerippe

0027 - Die Grotte der Gerippe

Titel: 0027 - Die Grotte der Gerippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wiemer
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später flammte vor ihm Licht auf.
    Jacahiro hatte eine Fackel angezündet – im zuckenden Widerschein konnte Bill die Halterung sehen, die lediglich aus einem in die Felswand gebohrten Loch bestand. Ein rötlicher Schimmer erfüllte die große, fast kreisrunde Grotte. Bill sah die Reste der Feuerstelle auf dem Boden, die roh gehauenen Stufen, die abwärts in einen tiefer gelegenen Teil der Höhle führte – und die Wände, die ringsum von verwitterten, nur noch mühsam erkennbaren Halbreliefs bedeckt waren.
    Quetzalcóatl, die gefiederte Schlange. Regen- und Feuergott. Die Erdgöttin Coatlique.
    Und Huitzilopochtli, jener schreckliche Gott der Sonne und des Krieges, dem die alten Azteken Menschenopfer dargebracht hatten, denen bei lebendigem Leibe das Herz herausgerissen wurde…
    Bill schauerte leicht. Die Erinnerung an jene alten Kulte wirkte alles andere als beruhigend. Die mit dem Christentum vermischte Religion der Huichol war wesentlich friedlicher. Oder jedenfalls hatte er sie dafür gehalten, bevor ihm klar wurde, daß sie im Peyote-Rausch nicht ihren Hirschgott Tamatz Kallaumari anriefen, sondern Tukákame, den Herrn der Unterwelt.
    Jacahiro ging voran die Stufen hinunter. Im unteren Teil der Grotte gab es keine Bildnisse mehr. Tropfsteine hingen von der Decke herab, wuchsen aus dem Boden empor und vereinigten sich zu schimmernden Säulen. Der Schein der Fackel huschte darüber weg, leuchtete die tiefen Schatten aus und erfaßte den Eingang eines mannshohen, gewölbten Ganges, der schnurgerade in den Berg hineinführte.
    Bill Fleming hatte plötzlich das deutliche Gefühl, daß es besser wäre, nicht weiterzugehen.
    Etwas wie eine unsichtbare Drohung wehte ihn an. Aber er war Wissenschaftler. Er wußte zwar aus Erfahrung, daß es übernatürliche Dinge gab, doch im Einzelfall weigerte er sich immer wieder bis zuletzt, daran zu glauben. Jedesmal von neuem suchte er zunächst nach logischen Erklärungen – und diesmal kam hinzu, daß die Möglichkeit, eine wichtige kulturhistorische Entdeckung zu machen, eine Faszination auf ihn ausübte, die alle Bedenken hinwegschwemmte.
    Mit zusammengebissenen Zähnen folgte er seinem Führer tiefer in den Berg hinein.
    Nach zwanzig, fünfundzwanzig Yard machte der Gang einen Knick. Erneut erweiterte er sich zu einer Grotte. Bill sah sich um, betrachtete die phantastischen Tropfsteingebilde – und gleichzeitig hörte er hinter sich das dumpfe Knirschen.
    Etwas polterte.
    Zuerst fiel nur ein einzelner Stein zu Boden – dann mündete das berstende Geräusch in ein donnerndes Krachen. Bill fuhr zusammen, wirbelte herum – und starrte mit aufgerissenen Augen auf die dichte Staubwolke, die aus dem Gang heraus in die Grotte quoll.
    Der ganze Berg schien zu dröhnen.
    Wie Donnerrollen ließ der Lärm die Luft erzittern. Ein heftiges, hagelartiges Prasseln folgte, dann verstummte auch das, und die Staubwolke legte sich allmählich.
    Bill stand wie gelähmt.
    Ihm war klar, daß irgendwo ein Teil des Höhlensystems zusammengebrochen sein mußte. Und ohne daß es ihm jemand gesagt hätte, wußte er auch, daß es der Gang war, der ins Freie führte.
    Er war gefangen.
    War in eine Falle gegangen.
    Und die Frage, was für eine Falle es sein mochte und wer sie gestellt hatte, bohrte sich in sein Gehirn wie ein glühender Nagel.
    Tukákame, dachte er.
    Der alte Indio hatte gesagt, daß er, Bill Fleming, eine Rolle in der uralten Prophezeiung spielte, auf deren Erfüllung die Huichol warteten. Der weiße Mann, der in das heilige Tal hinabsteigt, wenn die Zeit erfüllt ist… Er war in das heilige Tal hinabgestiegen. Aber was ihn erwartete, was geschehen sollte, wenn die Zeit erfüllt war, danach hatte er seltsamerweise gar nicht gefragt.
    Er wandte sich nach Jacahiro um.
    Der Alte stand still da, die Fackel in der Rechten. Er lächelte – und es war wissendes, wehmütiges und zugleich bedrohliches Lächeln.
    »Jacahiro wird sterben«, sagte er mit seiner dunklen, gutturalen Stimme. »Die Wächter Tukákames werden ihn töten. Du aber wirst ungefährdet durch die Höhle der Schlangen gehen, weißer Mann. Denn du bist bestimmt, die Heere der Azteken zu erwecken und dem Herrn der Finsternis das Leben zu bringen!«
    Bill Fleming schluckte.
    Angst schoß in ihm hoch – und mit der Angst kam eine verbissene Wut, die heiß durch seine Adern pulste. Mit drei Schritten stand er vor dem alten Indio, packte ihn am Kragen seiner weißen Peyote-Tracht und schüttelte ihn.
    »Hör’ zu,

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