003 - Die schwarze Rose
nach Chloe. Nachdem er nur eine kurze Rast in einem Gasthaus gemacht hatte, um sich mit einem kalten Bad zu erfrischen und sein erschöpftes Pferd zu füttern und zu tränken, war er todmüde. Nur aus einem Grund hatte er es für nötig befunden, das Haus seines Onkels möglichst schnell zu erreichen. Nur weil er feststellen wollte, ob das dumme kleine Ding wohlbehalten aus Amerika zurückgekehrt war.
Diese Reise verzieh er ihr noch immer nicht. Achtzehn Monate lang hatte er unablässig überlegt, welchen Unsinn der unberechenbare Rotschopf treiben mochte. Andererseits hatte er nicht über den Atlantik segeln und Chloe aus höchster Not retten müssen.
Als er an ihre geheimnisvollen Abschiedsworte dachte, lächelte er wider Willen.
Dann schrie er ein zweites Mal: „Chloe!"
Wo, zum Teufel, versteckte sich das kleine Biest?
Über dem Geländer des Oberstocks erschienen rote Haare und große violette Augen.
„John?" rief sie zögernd, mit jener melodischen Stimme, an die er sich so gut erinnerte.
Niemand sprach seinen Namen so aus wie Chloe. Obwohl sie viele Jahre in England verbracht hatte, verlieh sie dem „J" immer noch einen weichen französischen Klang.
Sein Herz schlug schneller. Erst jetzt erkannte er, wie schmerzlich er sie vermisst hatte.
„John!" Sie rannte die Treppe hinab, und ihre Füße schienen den Teppich, der über die Stufen gespannt war, kaum zu berühren.
Bevor er ihr entgegeneilte, dachte er: Sie hat sich verändert.
Mit blindem Vertrauen warf sie sich in seine Arme. Beinahe wären beide gestrauchelt und gestürzt.
Lachend hob er sie hoch und wirbelte sie im Kreis herum.
Nein, sie hat sich nicht verändert, Gott sei Dank.
„John! John!" Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und bedeckte sein Gesicht mit jenen zarten Küssen, die er scherzhaft „französisches Hühnerpicken" nannte. So begrüßte sie ihn immer, wenn sie sich länger nicht gesehen hatten, und es amüsierte ihn jedes Mal aufs Neue.
Auch diesmal. Im ersten Moment. Abrupt verstummte sein Gelächter, und er runzelte die Stirn, als er ihre Hüften umfasste. Etwas gerundeter. Und sehr hübsch geformt.
„Was hast du da drunter an?" fragte er und kniff in die Körperteile, die sein Interesse weckten.
Langsam hob sie den Blick. Wo hatte sie diese Koketterie gelernt? „Nichts", wisperte sie.
John zog die Brauen hoch. Dann stellte er sie hastig auf die Füße und würgte etwas hervor, das ganz entfernt wie „Chloe" klang.
O Gott, überlegte sie bestürzt, das ist ein entscheidender Augenblick. Nun, er muss aufhören, ein Kind in mir zu sehen, und mich für eine erwachsene Frau halten, wenn mein Plan gelingen soll . . . Und sie konnte nur gewinnen, wenn sie etwas wagte.
Sonst hätte sie das lange Exil vergeblich erduldet.
Sie wusste, wie misstrauisch er sie durch dichte schwarze Wimpern beobachtete.
Aufreizend straffte sie die Schultern, strich über ihre sanft geschwungenen Hüften, die das hauchzarte Musselinkleid nachmodellierte, und legte den Kopf schief. Diese Pose hatte sie einstudiert, um ihre erblühende Figur ins beste Licht zu rücken.
Beginnen wir das Spiel. Nur keine Schwäche zeigen . . .
Während er sie betrachtete, nahm er sich sehr viel Zeit. Also hatte sie sich seit der letzten Begegnung doch verändert, und zwar äußerst vorteilhaft. Diese Kurven, die vollen Brüste, die schmale Taille, die hübsch gerundeten Hüften . . . Vor anderthalb Jahren war sie noch ziemlich mager gewesen. Die Augen, einst zu groß für das herzförmige Gesicht, zogen ihn jetzt in einen seltsamen Bann. Und ihr Haar . . .
Wohin war der zerzauste möhrenrote Kopf entschwunden? Anmutige Locken glänzten wie flüssiges Kupfer. Noch nie hatte er so wunderbares Haar gesehen.
Chloe war eine atemberaubende Schönheit.
Als Frauenkenner wusste er, dass sie London im Sturm erobern würde. Und das Feuer, das in ihr zu brennen schien, würde die gesamte beau monde entzücken.
Allzu lange dürfte es nicht dauern, bis dieses Haus belagert wurde. Nicht zuletzt, weil Chloe eine reiche Erbin war . . .
Zweifellos würde es Ärger geben. Und John wusste auch, wer darunter leiden musste. Er hatte eine ereignisreiche Saison geplant. Für solche Dummheiten würde er nun keine Zeit finden.
„Was hast du mit dir gemacht?" stieß er hervor.
„Was meinst du?" Chloe kräuselte die Stirn. Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. „Schau doch nicht so bärbeißig drein!"
Bärbeißig? Chloe hatte sich schon immer sonderbar
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