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0030 - Am Morgen meiner Hinrichtung

0030 - Am Morgen meiner Hinrichtung

Titel: 0030 - Am Morgen meiner Hinrichtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Am Morgen meiner Hinrichtung
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und lachte ihm herausfordernd ins Gesicht. Da öffnete der Maskierte seine Jacke. Man sah, daß er um die Brust einen Ledergürtel geschnallt hatte, aus dem die Griffe von sechs Dolchen hervorschauten. Der Kassierer wurde blaß.
    Noch hatte niemand die Sache ernst genommen, weil man ja keine Waffe bei dem Maskierten gesehen hatte. Jetzt aber kreischten die ersten erschrockenen Frauen auf.
    Jemand sprang von seinem Stuhl auf und rannte durch den Raum, um an einen Knopf der Alarmanlage zu gelangen. Aber mitten im Lauf brach er zusammen. In seinem Rücken saß bis ans Heft einer der sechs Dolche des Maskierten. Ein zweiter ruhte in der federnden Hand des unheimlichen Banditen.
    Es ging schnell, nachdem man erst einmal den Ernst der Lage begriffen hatte. Der Maskierte entkam auf rätselhafte Weise aus der Stadt. Seine Beute betrug einhundertsiebzehntausend Bolivar.
    Nach drei Wochen meldete sich Juan wieder in seinem Dorf. Er suchte Juanita, ging mit ihr in den Wald und zeigte ihr das Geld. Sie erschrak. Natürlich hatte sich der freche Banküberfall im Lande herumgesprochen. In den Zeitungen war darüber berichtet worden, der Rundfunk hatte es erwähnt. Juanita wußte sofort, woher das Geld stammte.
    Aber Juan sagte mit seiner langsamen, bedächtigen Art: ›Wenn du mich jetzt verraten willst, werde ich dich töten. Du weißt, daß meine Messer dich erreichen, wo ich es will. Aber sieh dir doch das Geld an! Wir gehen weit ins Innere des Landes und bauen uns dort in einer anderen Stadt ein Haus! Wir werden reich sein! Du wirst schöne Kleider haben!‹
    Juanita träumte den Traum vom reichen Leben mit.
    Sie heiratete Juan, und es war eine Sensation für das ganze Dorf. Der häßliche Juan und die schöne Juanita — das war einfach unfaßbar.
    Aber am Tage nach der Hochzeit erschien im Dorfe plötzlich ein kleiner Wagen mit zwei uniformierten Polizisten aus der Landeshauptstadt. Sie verlangten Juan zu sprechen.
    Juan kam.
    Man nahm ihm seine Fingerabdrücke ab. Juan ließ es geschehen. Er wußte ja nicht, was das überhaupt zu bedeuten hatte. Die beiden Polizisten nahmen abwechselnd einen mitgebrachten Karton, auf dem zwei Fingerabdruckbilder waren, und das Papier, auf das sie Juans Finger gedrückt hatten. Dann zogen sie plötzlich ihre Pistolen und Handschellen hervor.
    ›Sie sind der Mann, der den Banküberfall durchgeführt hat‹, sagten sie zu Juan. ›An dem Dolch, den der Bankangestellte im Rücken hatte, waren die gleichen Fingerabdrücke, wie sie hier auf dem Papier sind, auf dem wir Ihre Fingerabdrücke abgenommen haben.‹
    Juan verstand nichts von Fingerabdrücken. Aber er verstand, daß sie ihn hatten. Er machte eine blitzschnelle Bewegung. Etwas Blitzendes zischte durch die Luft.
    Juanita, die in der Haustür stand, bekam große Augen. Ihre Hand umklammerte den Griff des Messers, das plötzlich in die Brust gedrungen war, dann fiel sie lautlos nach vorn.
    ›Ich habe gesagt, daß ich sie töten würde, wenn sie mich verraten sollte‹, erklärte Juan lächelnd.
    Er kam vor Gericht. Man fragte ihn, wo das Geld sei. Er schwieg sich aus. Niemand erfuhr es je. Man verurteilte ihn zum Tode. Man brachte ihn in die gleiche Zelle, in der nun Sie sind.
    Am Morgen der Hinrichtung war die Zelle leer. Kein Gitter war beschädigt, keine Mauer hatte auch nur einen Kratzer. Und trotzdem war die Zelle leer. Juan war nicht da. Er mußte sich in Luft aufgelöst haben. Niemand kam je dahinter, wie es ihm gelang, aus der Todeszelle zu entkommen…
     
    »Tja«, sagte der Pfarrer langsam, »das ist die Geschichte von Juan Rodrigo, den kein Mensch je wieder gesehen hat, seit er in der Nacht vor der Hinrichtung verschwand…«
    Ich sah nachdenklich zur Uhr. Es war jetzt schon zehn Uhr abends geworden. Ich hatte also noch genau acht Stunden. Wie war es nur diesem Juan gelungen, hier herauszukommen? Ich hatte in den letzten Tagen jeden Zentimeter abgesucht, ohne einen Anhaltspunkt zu finden, ja, ich hatte die Wände abgeklopft, ohne eine hohle Stelle zu entdecken.
    Aber irgendwie mußte er doch hinausgekommen sein?
    Er konnte sich doch nicht spurlos aufgelöst haben?
    ***
    Ich drehte mich auf die andere Seite, steckte mir am Stummel der alten eine neue Zigarette an und sagte: »Und wie war das mit den beiden anderen, Pfarrer? Aber machen Sie es kurz. Mich interessiert nur ihre Geschichte in groben Umrissen.«
    Der Pfarrer nickte.
    Ich schloß die Augen und lauschte auf seine warme, sympathische Stimme.
     
    »Als nächster kam

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