0030 - Am Morgen meiner Hinrichtung
Miguel Fernandorez in diese Zelle. Er war das genaue Gegenteil von Juan. Wo der Indianerjunge unbekannter Herkunft bedächtig und langsam gewesen war, da war Miguel jähzornig und sprunghaft. Seine Geschichte beginnt eigentlich nicht anders als die vieler Leute, die wir Verbrecher nennen.
Miguel wurde als viertes von sieben Kindern geboren. Sein Vater war Gelegenheitsarbeiter in der Hauptstadt, die Mutter eine stille, zäh arbeitende Frau aus dem Gebirge. Sie fand sich in der Stadt nie richtig zurecht und blieb ihr immer fremd.
Der Mann aber wurde zum Trinker. Man weiß nicht, wie er dazu kam, aber er wurde es jedenfalls.
Von da an ging es natürlich mit der Familie ‘ bergab. Hatte man vorher, schon sparsam wirtschaften müssen, so konnte nun von Wirtschaften überhaupt keine Rede mehr sein. Wenn der Mann — was selten genug vorkam — überhaupt mal was verdiente, dann brachte er es sofort in die nächste Kneipe. Wie die arme Frau unter diesen Umständen überhaupt die Familie ernähren konnte, wird immer schleierhaft bleiben.
Schlimm wurde es für die Kinder, als die Familie aus Sparsamkeitsgründen die bisherige Wohnung auf geben mußte und in das schmutzige Elendsviertel der Stadt zog.
Aus dem kleinen Miguel wurde nach und nach ein gelernter Dieb. Wie das so in den Elendsvierteln ist: Von einem lernt man dies, vom anderen das — nur von keinem etwas Gescheites.
Mit fünfzehn Jahren ergriff die Polizei Miguel zum erstenmal nach einem Einbruch in einem Tabakwarenladen. Kasse und einige tausend Zigaretten hatte Miguel mitgehen lassen.
Als er aus dem Fürsorgeheim entlassen wurde, blieb es zunächst ein paar Jahre ruhig um ihn. Man weiß nicht, wovon er in dieser Zeit gelebt hat, darf aber ziemlich sicher sein, daß es irgendwelche Betrügereien waren.
Dann kam die Sache mit dem Geldtransport. Das war an einem Mittwochmorgen. Der liebe Gott allein kann wissen, woher Miguel erfahren hatte, daß jeden Mittwochmorgen gegen neun Uhr vom Hauptpostamt die Bareinnahmen der ersten beiden Wochentage zur Staatsbank gefahren wurden, weil sie in den Tresoren der Bank besser aufgehoben waren als in den nicht sehr geschützten Schalterräumen des Hauptpostamtes.
Wie gesagt, irgendwo mußte Miguel davon erfahren haben. Als an diesem Mittwochmorgen die beiden Postangestellten auf die Straße traten, wo schon der für sie bestimmte Wagen wartete, erschien Miguel plötzlich auf der Bildfläche. Er hatte seine rechte Hand in der Hosentasche, wo man eine kantige Ausbuchtung durch den dünnen Stoff sehen konnte.
›Señores, wenn Sie gescheit sind‹, sagte Miguel in halblautem Gesprächston, ›dann steigen Sie lieber in diesen Wagen hier ein. Und zwar schnell und ohne verdächtige Bewegung!‹
Die beiden Postangestellten hatten vielleicht die Ausbuchtung in Miguels Hosentasche nicht gesehen, oder aber sie glaubten, zu zweit mit dem Burschen fertig werden zu können. Jedenfalls dachten sie nicht daran, Miguels Aufforderung Folge zu leisten. Im Gegenteil, sie setzten sich zur Wehr. Der eine, der nur zur Bewachung dabei war, riß seine Pistole aus der Ledertasche an seinem Koppel. Aber Miguel war viel schneller, denn er hatte die Hand in der Hosentasche ja schon am Kolben seines Revolvers. Er feuerte durch die Hosentasche in rascher Folge drei Schüsse auf den einen Angestellten ab, stieß dann den zweiten in den wartenden Wagen, kletterte selbst hinein und verschwand mit aufheulendem Motor des Wagens.
Der Fahrer des Fahrzeugs, das eigentlich für die beiden Postangestellten bestimmt gewesen war, hörte Schüsse und kletterte hastig aus dem Wagen. Er fand den einen Angestellten tödlich verletzt.
Miguel hatte einen Vorsprung. Die Polizei stellte ihn trotzdem nach einer achtzehnstündigen Jagd durch das halbe Land. Als man ihn in einem Dorfgasthaus, wo er übernachten wollte, verhaftete, war das Geld bereits verschwunden. Den zweiten Postangestellten fand man später bewußtlos und mit einer schweren Kopfverletzung am Rande einer Straße, die Miguel bei seiner Flucht benutzt hatte.
Man versprach inoffiziell dem Gefangenen, daß man ihn nicht zum Tode verurteilen würde, wenn er verriet, wo er das Geld versteckt hatte. Es war die recht beachtliche Summe von fünfunddreißigtausend Bolivar. Aber Miguel schwieg beharrlich.
Er wurde zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung wurde zunächst auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben, ohne daß man es Miguel mitgeteilt hatte. Zuerst wollte man noch alles Erdenkliche versuchen, um das
Weitere Kostenlose Bücher